Innovatives Verfahren: Mercedes-Benz eröffnet Europas erste eigene Batterie-Recyclingfabrik
Südlich von Karlsruhe schlägt das neue Herz des europäischen Batterierecyclings: Der Autokonzern Mercedes-Benz hat im Oktober 2024 in Kuppenheim seine erste eigene Recyclingfabrik in Betrieb genommen. Ein Novum auch deshalb, weil in der Anlage ein integriertes mechanisch-hydrometallurgisches Verfahren eingesetzt wird.
Zu wertvoll zum Wegschmeißen: Lithium, Nickel und Kobalt sind die Grundlagen der Elektromobilität – in der klassischen linearen Wirtschaft würden diese Rohstoffe am Ende des Lebenszyklus einer Batterie entsorgt. Doch kaum ein Produkt ist derart prädestiniert für die neue Kreislaufwirtschaft, wie Batterien – denn nach der Nutzung im Auto lässt sich nicht nur eine weitere Nutzung als Stromspeicher in Haushalten oder Industrie anschließen, sondern die Rohstoffe dienen schließlich wieder als Rohmaterialien für den Bau neuer KFZ. Doch das Recycling ist alles andere als einfach.
Der Autokonzern Mercedes-Benz hat sich der Herausforderung gestellt: Als weltweit erster Automobilhersteller hat das Unternehmen eine eigene Fabrik errichtet, die sich auf die Rückgewinnung hochwertiger Batterie-Rohstoffe spezialisiert hat. Die neue Fabrik in Kuppenheim ermöglicht eine äußerst effiziente Rückgewinnung von Rohstoffen mit einer Quote von über 96 Prozent.
Mechanisch-hydrometallurgisches Verfahren
Herzstück der neuen Anlage ist das mechanisch-hydrometallurgische Verfahren, das im Vergleich zu herkömmlichen Methoden wie der Pyrometallurgie besonders ressourcenschonend und umweltfreundlich ist. Der Recyclingprozess beginnt mit der mechanischen Zerlegung der Altbatterien, bei der Materialien wie Kunststoffe, Kupfer, Aluminium und Eisen sortenrein separiert werden. Diese Materialien können dann für verschiedene industrielle Anwendungen wiederverwendet werden.
Im nächsten Schritt wird die „schwarze Masse“ aufbereitet. Sie enthält die aktiven elektrochemischen Materialien der Batterie, insbesondere die Metalle Lithium, Nickel und Kobalt. Durch einen mehrstufigen chemischen Prozess werden diese Metalle extrahiert und in einer Reinheit zurückgewonnen, die den Anforderungen für neue Batterien entspricht.
Die Entscheidung für ein hydrometallurgisches Verfahren anstelle der in Europa bisher vorherrschenden Pyrometallurgie bringt mehrere Vorteile mit sich: Die niedrigen Prozesstemperaturen von bis zu 80 Grad Celsius reduzieren den Energieverbrauch der Anlage erheblich und verringern gleichzeitig die Abfallmenge. Somit erzeugt das Verfahren weniger Emissionen und benötigt im Vergleich zur Pyrometallurgie weniger Energie, was es zu einer umweltfreundlicheren Alternative macht.
Zusätzlich wird die gesamte Anlage CO₂-neutral betrieben und zu 100 Prozent mit Grünstrom versorgt. Auf dem Dach der 6.800 Quadratmeter großen Fabrikfläche befindet sich eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von über 350 Kilowatt, die zur Eigenstromversorgung beiträgt.
Neue Technolgie wird von erfahrenem Anlagenbauer skaliert
Interessant ist an dem Projekt auch die Zusammenarbeit mit dem deutschen Metallurgie-Anlagenbauer SMS und dem australischen Technologieunternehmen Neometals. Über das Joint Venture Primobius bündeln die SMS Group und das australische Unternehmen Neometals im Projekt von Mercedes-Benz ihre jeweiligen Kernkompetenzen in den Bereichen Anlagenbau und Recyclingtechnologie: Neometals hat beim Batterierecycling mit seinem mechanisch-hydrometallurgischen Verfahren Pionierarbeit geleistet und das hocheffiziente Verfahren zur Rückgewinnung der wertvollen Metallen in hoher Reinheit entwickelt. Die SMS Group ist dafür zuständig, den neuen Prozess in den großtechnischen Maßstab zu skalieren, sodass dieser mit hoher Effizienz betrieben werden kann. SMS verantwortet dabei die Entwicklung, Skalierung, Konstruktion und Installation der Recyclinganlagen, die für die mechanischen und hydrometallurgischen Recyclingprozesse benötigt werden. Auch die spätere Betriebsführung und Instandhaltung fällt in die Zuständigkeit von SMS. Neometals wird künftig die chemischen Prozesse und die Technologie weiterentwickeln.
Zudem wird das Projekt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz unterstützt und im Rahmen eines wissenschaftlichen Forschungsprojekts mit deutschen Universitäten begleitet. Das Ziel dieser Kooperationen ist es, die gesamte Prozesskette des Batterierecyclings zu analysieren und zukunftsfähige Konzepte für Logistik und Wiederverwertung zu entwickeln. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen die Grundlage für eine breitere Skalierung der Batterie-Recyclingwirtschaft in Deutschland und Europa bilden.
Recyclingwirtschaft voranbringen, Batteriewertschöpfung im Land halten
Weil Batterien einen signifikanten Anteil an der Wertschöpfung von Elektroautos haben, sieht Mercedes-Benz die neue Recyclingfabrik auch als Teil der langfristigen Strategie des Unternehmens, die Wertschöpfung im Bereich Elektromobilität in Deutschland zu stärken. In der ersten Betriebsphase soll die Anlage in Kuppenheim eine Recyclingkapazität von 2.500 Tonnen jährlich erreichen. Die gewonnenen Rohstoffe sollen für die Produktion von über 50.000 neuen Batteriemodulen für elektrische Fahrzeuge des Herstellers genutzt werden. Langfristig könnte das Produktionsvolumen weiter gesteigert werden, um den Bedarf an recyceltem Material in der wachsenden Elektromobilitätsbranche zu decken.
Das Batterierecycling ist ein Baustein in der Kreislaufwirtschaft-Strategie des Autoherstellers. Mit dem „Design for Circularity“-Ansatz integriert das Unternehmen bereits bei der Entwicklung neuer Batterien Aspekte der Wiederverwertung und Nachhaltigkeit. Ersonnen werden die Konzepte unter anderem am neuen eCampus in Stuttgart. Darüber hinaus stellt der Hersteller aufbereitete Batterien als Ersatzteile für seine Elektrofahrzeuge bereit und hat mit der Tochterfirma Mercedes-Benz Energy ein Modell für stationäre Speicherlösungen entwickelt, in denen Altbatterien ein „zweites Leben“ erhalten. Dieses Second-Life-Konzept ist ein weiterer zentraler Schritt hin zur Kreislaufwirtschaft.
Fazit: Durch die Rückgewinnung und Wiederverwendung wertvoller Rohstoffe sinkt nicht nur die Abhängigkeit von Primärmaterialien, sondern auch der ökologische Fußabdruck der Batteriefertigung. Das Modellprojekt in Kuppenheim könnte der Automobilbranche Wege aufzeigen, wie industrielle Effizienz und Nachhaltigkeit verbunden werden können.