Digitale Plattformen für Schüttgüter
12.08.2024 Kreislaufwirtschaft & Recycling Artikel

Digitale Plattformen für Schüttgüter

Baustellen haben einen enormen Ressourcenbedarf. Gleichzeitig fallen beim Rückbau alter Gebäude große Mengen Abbruchmaterial an. Die Materialströme zu koordinieren, ist aufwendig und komplex. Plattformökonomie erleichtert den Umgang: Über Onlinemarktplätze werden alte und neue Schüttgüter effizient und einfach gehandelt.

Betonmischfahrzeug auf einer Baustelle Über Plattformen können Bauunternehmen sowohl neue Ressourcen als auch anfallendes Abbruchmaterial handeln.

Der Hunger ist groß und der Kühlschrank leer – wer hat da Lust, ein Restaurant nach dem anderen nach Angebot und Lieferzeit zu checken? Stattdessen lassen sich dank den Onlineportalen von Essenslieferdiensten heute auf einen Blick die Lieferzeiten hunderter Restaurants auf einmal anzeigen. Plattformökonomie macht es möglich: Der Lieferdienst agiert als Intermediär zwischen Kunde und Restaurant. Das spart Zeit und Kosten, vergrößert das verfügbare Angebot und erhöht die Flexibilität.

Was im B2C-Geschäft schon seit Jahren Standard ist, nimmt auch im B2B-Umfeld Fahrt auf. Das zeigt sich zum Beispiel auf der Baustelle – spätestens seit 2019. In diesem Jahr wurde Schüttflix gegründet. Wer das Geschäftsmodell von Lieferdiensten wie Lieferando kennt, versteht auch das Konzept der digitalen Plattform für Baustellenlogistik: Anbieter und Abnehmer werden online zusammengebracht. Transportiert werden statt Pizza und Burgern allerdings Boden und Bauschutt.

Die Zahlen sprechen für den Erfolg des Prinzips: Über 12 Mio. Tonnen Material wurden nach eigenen Angaben bisher über die Plattform in mehr als 450.000 Transporten befördert. Und anders als bei Sushi & Co. gibt es bei der Baustoffplattform keine Leerfahrten auf dem Rückweg. Denn über das Onlineportal werden nicht nur Baustoffe gehandelt, sondern auch der Abtransport und die Entsorgung von Abbruchmaterial organisiert.

Umschlagbagger und Lkw auf einer Baustelle Die Logistik von Schüttgütern für Baustellen ist komplex. Onlineplattformen für den Handel erleichtern den Umgang.

Auf Baustellen entsteht am meisten Abfall

Diese zusätzliche logistische Dienstleistung ist bei Kunden aus mehreren Gründen gern gesehen. Erstens wird Deponieraum für Schüttgut aus dem Abbruch immer knapper. Schließlich ist der Abfallstrom mit über 200 Mio. Tonnen im Jahr die mengenmäßig wichtigste Abfallgruppe in Deutschland. Bauunternehmen können sich nur noch selten darauf verlassen, dass ein einziger Entsorger alle Abfälle annehmen kann. Zweitens ist die Verwertung und Entsorgung von Bauabfällen streng reguliert. Das ist wichtig, da auf der Baustelle so viele unterschiedliche Sorten von Abfall entstehen: Von mineralischen Stoffen über Metalle bis hin zu Holz und Dämmmaterial aus Kunststoff ist alles dabei.

Wer eine Plattform für das Finden des passenden Entsorgers nutzt, kann immer wieder gleich vorgehen: Unabhängig vom Abbruchmaterial wird eine Anfrage eingestellt, auf die passende Entsorger antworten. Das vereinfacht die Prozesse und gewährleistet, dass alles immer ordnungsgemäß verwertet wird.

Auf das Rezept der Plattformökonomie für Baustoffe setzt auch Mineral Minds, allerdings mit einem stärkeren Fokus auf das Prinzip „Everything as a Service“: Stoffstrom as a Service bedeutet in diesem Fall, dass hausinterne Stoffströme im Unternehmen geplant, koordiniert und optimiert werden können. Wie Schüttflix bringt die Plattform dafür Anbieter und Abnehmer von Baustoffen ebenso zusammen wie Anfallstellen von Abbruchmaterial und Bodenaushub mit Verwertern und Deponien. Zusätzlich wirbt die Plattform mit der einfachen Erstellung von transparenten CO2- und Abfallbilanzen und dem unkomplizierten Erfüllen von Anforderungen, die sich aus der novellierten Mantelverordnung in Bezug auf Ersatzbaustoffe ergibt. Dazu gehört etwa die Probenahme, die sicherstellt, dass Altbaustoffe keine giftigen Bestandteile enthalten. Diese zu digitalisieren, verspricht mit Boden & Bauschutt eine weitere Plattform für den Handel mit alten und neuen Baustoffen. Wie Schüttflix und Mineral Minds vereint das Onlineangebot das digitale Stoffstrommanagement mit einem Marktplatz, der Erzeuger und Entsorger zusammenbringt.

Auch Cyrkl versteht sich als Marktplatz für Stoffströme. Auf der Plattform werden allerdings nicht nur mineralische Schüttgüter vermittelt, sondern auch recycelte Kunststoffpellets und -folien, Glas und Textilien, Metalle und sogar Elektroschrott. Der Anbieter will das Abfallmanagement ganzheitlich optimieren und so letztlich das Prinzip der Kreislaufwirtschaft voranbringen.

Selbst kleine Bauprojekte können heute von der gezielten Vermarktung von Reststoffen aus dem Abbruch und Rückbau profitieren. Auf Restato finden DIY-Fans Material wie Altholzbretter, Ziegelsteine und Retro-Fliesen für ihr nächstes Bauprojekt. Die Plattform kooperiert mit Concular, einem weiteren Anbieter von Material aus dem Rückbau. Anders als bei Schüttflix und Mineral Minds werden hier jedoch ganze Komponenten vermittelt: Neben Möbeln und Leuchten finden Nutzer auf dem Portal gebrauchte, günstige Türen und Fenster, Heizkörper, Briefkastenanlagen oder sogar Trennwandsysteme und abgehängte Decken.

Baustellenmitarbeiter mit Materialdokumenten Die Dokumentation von Abbruchmaterial ist wichtig für die Wiederverwertung und die ordnungsgemäße Entsorgung.

Verwerten und wiederverwenden statt entsorgen – dieses Prinzip vereint alle Plattformen für Schüttgut und andere Reststoffe aus der Baubranche. Damit so viel Material wie möglich recycelt werden kann, ist eine sorgfältige Bestandsaufnahme auf der Baustelle nötig. Um diese zu vereinfachen und zu systematisieren, wurde Madaster gegründet. Die Plattform für Bestandsanalyse und systematische Wiederverwendung alter Baumaterialien versteht sich als Kataster für Materialien und Produkte: Schon bei Planung und Bau können Nutzer alle Bestandteile registrieren, die in einem Bauobjekt verwendet wurden. So entsteht ein dynamischer „Gebäuderessourcenpass“, der bei Umbau und Rückbau hilft, von vornherein den Überblick zu behalten, welche Ressourcen wie weiterhin verwendet werden können.

Ein weiter Weg bis zur Kreislaufwirtschaft

12 Prozent aller eingesetzten Rohstoffe bestehen in Deutschland aus recyceltem Material – das ist nicht viel. Und der Wert stagniert seit Jahrzehnten. Bis zu einer wirklichen Kreislaufwirtschaft, in der Reststoffe prinzipiell nicht mehr als Abfall, sondern als Ressource verstanden werden, ist es also noch ein weiter Weg. Plattformen für Schüttgüter des Bausektors können helfen, ihn schneller zu beschreiten. Dass die Plattformökonomie für Bau und Rückbau Zukunft hat, zeigt die Entwicklung von Onlinemarktplätzen wie Schüttflix, Mineral Minds & Co.: Die Netzwerke wachsen, teilweise sogar über die Landesgrenzen hinaus.

Autor

Marius Schaub

Marius Schaub