Ex-Anlagen: Der Betreiber trägt die Verantwortung
04.10.2024 Sicherheit & Umwelt Artikel

Ex-Anlagen: Der Betreiber trägt die Verantwortung

Bei gut 25 Prozent aller Ex-Anlagen finden Prüfer vor der ersten Inbetriebnahme erhebliche Mängel. Das wäre zu vermeiden, wenn alle Betreiber ihren Pflichten nachkämen: eine gründliche Gefährdungsbeurteilung und darauf basierend umfassende Schutzmaßnahmen. Das gilt auch für kleine und mittelständische Unternehmen, wie Bäckereien oder Kosmetikhersteller, die mit pulverförmigen Stoffen umgehen.

An einem grünen Metalltor hängen diverse Warn- und Verbotsschilder, darunter ein gelbes dreieckiges Ex-Symbol und ein Rauchverbotsschild, sowie ein Hinweisschild auf eine Biogasanlage. Ex-Anlagen gibt es in zahlreichen Industrien. Für das Schutzkonzept ist immer der Betreiber verantwortlich.
Eine Gruppe von Menschen vor einer Glasfront beobachtet im Freien eine industrielle Maschine, aus der Rauch und eine orangene Flamme aufsteigt. Die Anlage ist mit mehreren Komponenten versehen. Auf einer davon ist die Aufschrift Explosion Isolation EXXOP aufgebracht. Im Freigelände der NürnbergMesse werden regelmäßig während der POWTECH TECHNOPHARM Explosionen an Industrieanlagen und die Funktion von Schutzsystemen demonstriert.

Die Live-Explosionen im Freigelände der NürnbergMesse gehören auf jeder POWTECH TECHNOPHARM zum Highlight für zahlreiche Besucher. Im eigenen Betrieb will das jedoch keiner erleben. Entsprechend zahlreich sind die ausgestellten Produkte, mit denen man Explosionen vermeiden kann. Sie reichen von Absaug- und Inertisierungsanlagen, über Druck- und Funkendetektoren bis hin zu Berstscheiben, Flammensperren und Löschsystemen. Explosionsgeschützte Mess- und Analysengeräte in Ausführungen sowie Systeme, die statischer Ladung vorbeugen, ergänzen das sicherheitstechnische Angebot.

Staubexplosionen in Silos, Mischern und Förderern vermeiden

Das europäische sechseckige Ex-Symbol (Epsilon-x im Hexagon) für explosionsgeschützte elektrische Betriebsmittel ist für alle, die mit entzündbaren Flüssigkeiten und Gasen umgehen, genauso relevant wie für Verarbeiter pulverförmiger Stoffe. Der Staubexplosionsschutz ist an Silos und Zyklonen, Mischern und Mühlen, pneumatischen Fördersystemen und Trocknern, Absackanlagen oder im Lager von großer Bedeutung. 

Doch es reicht nicht aus, wenn Betreiber ihre Anlagen mit Komponenten und Geräten ausstatten, auf deren Typenschild das Ex-Hexagon in Verbindung mit Angaben zu Geräte- und Explosionsgruppe, Zündschutzart etc. prangt. Explosionsschutz fängt viel früher an: bei den ersten Überlegungen zur Konstruktion einer Anlage. Über allem steht dabei die Betreiberverantwortung. Denn kein Produkt- oder Anlagenanbieter kann letztlich wissen, welche Bedingungen während des späteren Betriebs herrschen. Nach der ATEX-Produktrichtlinie 2014-34/EU müssen zwar Hersteller und Inverkehrbringer Produkte, die für Ex-Bereiche bestimmt sind, ihre Entwicklung entsprechend gestalten, um Zündquellen auszuschließen.

Für den Betreiber der Anlage gilt dagegen die ATEX-Betriebsrichtlinie 1999/92/EG. Und die stellt hohe Ansprüche. In Großkonzernen der Chemieindustrie oder im Bergbau meist kein Problem: Dort gibt es ganze Abteilungen, die sich mit sämtlichen Fragen der Sicherheit auseinandersetzen und ein hohes Sicherheitsniveau verankern. Doch auch kleine produzierende Unternehmen, die mit Lösungsmitteln, Gasen und/oder Schüttgütern umgehen, sind in der Pflicht. Dazu gehört der Backbetrieb oder die kleine Getreidemühle ebenso wie viele Kosmetik-, Lebensmittel- oder Pharmaunternehmen, die beispielsweise Rohstoffe in Form von Schüttgütern geliefert bekommen oder solche verarbeiten und verpacken. Auch bei der Erzeugung von beispielsweise Holzpellets, in Recyclingbetrieben oder beim Umgang mit Desinfektions- und Reinigungsmitteln können sich Explosionsrisiken ergeben.

Erhebliche Mängel: Tankstellen sicherer als Lageranlagen

Im jährlichen Anlagensicherheitsreport der deutschen ZÜS, der „Zugelassenen Überwachungsstellen“ zeigt sich, dass die Sicherstellung des Explosionsschutzes alles andere als ein Kinderspiel ist. Im Jahr 2023 wurden bei der Prüfung von Ex-Anlagen vor Inbetriebnahme bei 5,4 % der Lageranlagen und bei 25 Prozent erhebliche Mängel festgestellt. Bei Füll- und Entleerstellen waren bei 2,7 Prozent gefährliche und bei 18,9 Prozent erhebliche Mängel zu verzeichnen. Deutlich besser schnitten Tankstellen ab (0,2 Prozent bzw. 6,7 Prozent). „Sonstige Anlagen“, zu denen Anlagen in den oben genannten Bereichen gehören, waren jedoch nur zu 48,6 Prozent der 7.188 Prüfungen mangelfrei. Bei 24 Prozent zeigten sich erhebliche Mängel. Gefährliche Mängel wurden bei 1,3 Prozent gefunden.

Umfangreiche Pflichten des Anlagenbetreibers

Sind sich also zahlreiche Betreiber ihrer Verantwortung nicht bewusst? Sie sind verpflichtet, die Sicherheit ihrer Mitarbeiter zu gewährleisten. Es ist zudem im Interesse des Betriebs, Anlagenschäden und damit Produktionsausfälle zu vermeiden. Oder sind sie mit den Aufgaben, die sich aus der ATEX- Betriebsrichtlinie 1999/92/EG ergeben, überfordert? Folgende Pflichten haben Anlagenbetreiber:

  • An erster Stelle steht die Gefährdungsbeurteilung: Sind brennbare Stoffe vorhanden und kann eine explosionsfähige Atmosphäre in gefahrdrohender Menge entstehen? Falls dies nicht verhindert werden kann (z. B. durch Lüftung, Inertisierung oder Gaswarnanlagen), muss der Betreiber für die Bereiche in und um die Anlage Zonen gemäß der ATEX-Verordnung festlegen. (Zone 0, 1 oder 2 bzw. für den Staubexplosionsschutz Zonen 20, 21, 22)
  • Auf dieser Basis müssen angemessene Schutzmaßnahmen festgelegt werden. Das heißt in erster Linie, dass wirksame Zündquellen (Funken, heiße Oberflächen, elektrostatische Aufladung) innerhalb der Zonen so weit wie möglich verhindert werden müssen (primärer Explosionsschutz). Dem nachrangig, aber in der Regel nicht völlig zu vermeiden, sind Maßnahmen des sekundären Explosionsschutzes, die die Auswirkung auftretender Explosionen auf ein ungefährliches Maß begrenzen. Dieser konstruktive Explosionsschutz beinhaltet beispielsweise Berstscheiben oder Druckentlastungseinrichtungen. Ergänzt werden diese Maßnahmen um die explosionstechnische Entkopplung von Anlagenteilen. So können eine Ausbreitung der Explosion oder Sekundärexplosionen vermieden werden. Zu den Schutzmaßnahmen zählt auch die regelmäßige Schulung der Mitarbeiter.
  • Dies alles ist in einem Explosionsschutzdokument sorgfältig festzuhalten. Es enthält eine allgemeine Beschreibung des Betriebs, die Bewertung der Explosionsgefahren, die Zoneneinteilung, potenzielle Zündquellen und die Maßnahmen für den Explosionsschutz. Darüber hinaus hält es fest, welche Überwachungs- und Wartungsmaßnahmen künftig für die Sicherheit von Relevanz sind und welche Anweisungen und Schulungen für die Mitarbeiter vorgesehen sind.

Der Personenkreis, der ein solches Explosionsschutzdokument erstellt, muss natürlich über entsprechende Kenntnisse verfügen. Der verantwortliche Unternehmensleiter kann sich dabei beraten lassen, beispielsweise durch eine Fachkraft für Arbeitssicherheit oder einen externen Experten. Die Personen, die mit gefährlichen explosionsfähigen Gemischen umgehen bzw. die für die betroffenen Betriebsbereiche verantwortlich sind, müssen eingebunden werden. In Deutschland gelten neben der obengenannten EU-Verordnung auch, die Gefahrstoffverordnung, die Technischen Regeln zum Explosionsschutz (TRGS und TRBS), und die relevanten Schriften der Unfallversicherungsträger, speziell DGUV Regel 113-001 „Explosionsschutz-Regeln“ und DGUV Information 213-106 „Explosionsschutzdokument“.

Der Oberkörper einer Person mit weißem T-Shirt, Schürze und Schutzhandschuhen ist zu sehen, die in einer Produktionsumgebung mit einem weißen pulverartigen Material hantiert. Dieses bildet einen dichten Staub. Auch in größeren Lebensmittel verarbeitenden Betrieben kann eine explosionsfähige Atmosphäre, etwa durch fein verteiltes Mehl, entstehen.

Das Schutzkonzept ist die Basis für die Ex-Schutz-Ausrüstung

Auf Basis des so entstandenen Schutzkonzepts kann dann eine Anlage geplant und konstruiert werden. Die dazu benötigten Produkte müssen für die Ex-Schutz-Zone geeignet sein, für die sie bestimmt sind. In Europa gilt: Fallen sie unter die ATEX-Richtlinie, müssen sie entsprechend gekennzeichnet sein. Betreiber und Hersteller müssen also in dieser Phase gut zusammenarbeiten. Vor der Inbetriebnahme, aber auch nach prüfpflichtigen Änderungen und wiederkehrend während der Betriebsphase (spätestens alle sechs Jahre), muss eine Zugelassene Überwachungsstelle die Explosionssicherheit überprüfen.

International gelten ähnlich hohe Anforderungen und Regularien. Dabei sind die regional geltenden Bestimmungen zu beachten: unter anderem das IECEx-Zertifizierungssystem (weltweit), der NEC in den USA, der CEC in Kanada, EAC Ex in Russland und Kasachstan.

Einmal sicher, immer sicher? Der Stand der Technik

Mit der einmaligen Gefährdungsbeurteilung ist es leider nicht getan. Der Betreiber muss während des Lebenszyklus der Anlage immer wieder hinterfragen, ob seine Anlagen sicher betrieben werden können oder ob nachgebessert werden muss. Dabei ist das Wissen um den Stand der Technik von Bedeutung. Einen Bestandsschutz gibt es nicht. Das Schutzkonzept sollte, wenn es der neuste Stand der Technik hergibt, immer wieder optimiert werden. Zu einem hohen Sicherheitsniveau trägt der Arbeitgeber auch bei, indem er seine Mitarbeiter regelmäßig qualifiziert und dafür sorgt, dass die Anlagen regelmäßig gewartet werden. So kann das Restrisiko immer kleiner werden.

Autor

Ulla Reutner

Dr. Ulla Reutner

Chemikerin und freie Fachjournalistin