Update: Die globale Lage der Chemieindustrie: Herausforderungen und Ausblick
09.01.2025 Chemie Artikel

Update: Die globale Lage der Chemieindustrie: Herausforderungen und Ausblick

Die Flaute in der Chemieindustrie hält an. Waren es im vergangenen Jahr vor allem europäische und deutsche Hersteller, die über sinkende Umsätze und unzureichende Kapazitätsauslastung klagten, so ist das Phänomen inzwischen global - die Weltkonjunktur zeigt deutliche Bremsspuren. Wir blicken zurück ins Jahr 2024 und wagen einen Ausblick.

Beleuchtetes Raffineriewerk nachts mit Gewitterhimmel und Blitz Update: Die globale Lage der Chemieindustrie: Herausforderungen und Ausblick

Die chemisch-pharmazeutische Industrie in Deutschland blickt auf ein herausforderndes Jahr 2024 zurück. Trotz eines leichten Produktionszuwachses von 2 Prozent befindet sich die Branche weiterhin in einem tiefen Tal, das von sinkenden Umsätzen, geringer Auftragslage und anhaltendem Anpassungsdruck geprägt ist. Die wirtschaftliche Lage spiegelt nicht nur die Schwierigkeiten in Deutschland wider, sondern auch globale Trends, wie sie in den Berichten von Deloitte und Cefic deutlich werden.

Markus Steilemann, Vorstandsvorsitzender des Kunststoffherstellers Covestro und Präsident des deutschen Chemieverbandes VCI, zog bei der Vorstellung der Branchenbilanz am 13. Dezember 2024 ein ernüchterndes Fazit: „Der einzige Lichtblick ist, dass sich die rasante Talfahrt der letzten beiden Jahre nicht fortgesetzt hat.“ Trotz eines Produktionsplus von 2 Prozent liegt der Output der chemischen Industrie immer noch deutlich unter dem Niveau von 2018. Zum Vergleich: Die Produktion der chemisch-pharmazeutischen Industrie ging um 16 Prozent zurück, die der Chemie allein sogar um 17 Prozent. Dies verdeutlicht die tiefe Strukturkrise der Branche.

VCI-Präsident Markus Steilemann bei der Pressekonferenz des Chemieverbands VCI-Präsident Markus Steilemann berichtete auf einer Pressekonferenz im Dezember 2024 über die Herausforderungen für die chemisch-pharmazeutische Industrie in Deutschland.

Zudem waren die Produktionsanlagen 2024 im Durchschnitt nur zu 75 Prozent ausgelastet - ein Wert, der seit vier Jahren unter der Rentabilitätsschwelle von 82 Prozent liegt. Diese Unterauslastung führte bereits zu Werksschließungen und weiteren geplanten Stilllegungen, insbesondere in Deutschland. Gleichzeitig kämpfen die Unternehmen mit sinkenden Preisen: Chemikalien waren im Schnitt 2,5 Prozent billiger als im Vorjahr, was den Umsatzrückgang von 2 Prozent auf 221 Milliarden Euro zusätzlich verschärfte. Besonders betroffen war der Inlandsumsatz mit einem Minus von 4 Prozent.

Die Pharmaproduktion verzeichnete ein Minus von 1,5 Prozent, belastet durch Lieferkettenprobleme, Kapazitätsengpässe und eine rückläufige Nachfrage aus Europa und den USA. Auch die Spezialchemie geriet ins Stocken: Zum dritten Mal in Folge sank die Produktion, diesmal um 2 Prozent.

Weltwirtschaft schwächelt

Globale Trends verdeutlichen die unterschiedliche Entwicklung der Chemiebranche: Während Europa und insbesondere Deutschland mit hohen Energiepreisen und einer komplexen Regulierungslandschaft kämpfen, profitieren die USA von günstigem Schiefergas und staatlichen Investitionsprogrammen. Dennoch wachsen auch in den USA die Bäume nicht in den Himmel angesichts einer sich voraussichtlich weiter abschwächenden Konjunktur: Der US-amerikanische Chemieverband ACC berichtete im Dezember, dass das Volumen der Chemieimporte und -exporte 2024 deutlich gesunken ist - auf den niedrigsten Wert seit 2021. Für die Region Asien mit China als weltweit größtem Chemieproduzenten liegen derzeit noch keine Daten vor - 2023 war die Chemieproduktion in China noch um 6,1 Prozent gestiegen.

Die europäische Chemieindustrie bleibt dagegen deutlich hinter ihren Erwartungen für eine Belebung der Chemiekonjunktur in 2024 zurück. Laut Cefic sind die Exporte zwar um 8 Prozent gestiegen, die Wettbewerbsfähigkeit wird aber durch hohe Produktionskosten und eine geringe Dynamik beeinträchtigt. So werden die Gaspreise in Europa auch 2024 fast viermal so hoch sein wie in den USA.

Verlauf der Produktionszahlen für Chemikalien und Pharmazeutika in Deutschland Entwicklung der Chemie– und Pharmaproduktion in Deutschland

Wenig Optimismus für 2025

Der Ausblick auf das Jahr 2025 gibt wenig Anlass zu Optimismus und ist von vielen Unsicherheiten geprägt. Die Produktion könnte laut VCI um 0,5 Prozent steigen - getragen von einem leichten Plus bei Pharma (+0,5 Prozent) und einer Stagnation in der Chemie. Der Umsatz soll auf dem Niveau von 2024 verharren.

Auch der ACC sieht weitere Schwierigkeiten: „Mit Blick auf das Jahr 2025 werden sich für die US-Chemieproduzenten eine Reihe von Herausforderungen und Chancen ergeben“, sagt Martha Moore, Chefökonomin beim American Chemistry Council: „Vor dem Hintergrund einer neuen politischen Führung, einer schwachen globalen Nachfrage und der Produktion aus China freut sich die US-Chemieindustrie darauf, auf ihrem Energievorteil aufzubauen...“.

In Deutschland sind die Mitgliedsunternehmen des VCI geteilter Meinung über eine mögliche Erholung: Während die optimistischeren Unternehmen bereits im Herbst 2025 eine Wende erwarten, rechnet jedes zweite Unternehmen erst 2026 oder später mit einer deutlichen Nachfragebelebung.

Ein entscheidender Hebel für die Zukunft der Branche bleibt die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Laut einer Studie von Boston Consulting müssen die deutschen Chemieunternehmen ihre Produktivität um 10 bis 30 Prozent steigern, um international mithalten zu können. Dies erfordert Innovationen, Investitionen und ein wirtschaftsfreundliches Umfeld. Doch gerade bei den Investitionen gibt es eine besorgniserregende Entwicklung: Während deutsche Unternehmen ihre Innovationsbudgets kürzen, steigen die Investitionen im Ausland - vor allem in den USA und Asien.

Globale Perspektiven: Handel als Chance

Das EU-Mercosur-Abkommen bietet der Branche neue Chancen. Laut Cefic könnte das Abkommen den Handel mit Südamerika stärken, Zölle abbauen und Investitionen fördern. Dies würde der europäischen Chemieindustrie dringend benötigte Wachstumsimpulse geben, auch um die Abhängigkeit von China zu verringern.

Angesichts der weiterhin bestehenden Herausforderungen in Europa appelliert der VCI an die Politik. Zentrale Forderungen sind

  • Wettbewerbsfähige Energiepreise: Stromkosten senken und Infrastruktur ausbauen
  • Bürokratieabbau: Genehmigungsverfahren vereinfachen
  • Unternehmenssteuerreform: Entlastung der Unternehmen
  • Zukunftsinvestitionen: Vorrang für Infrastruktur, Bildung und Sicherheit

Fazit: Die chemisch-pharmazeutische Industrie in Deutschland steht am Scheideweg. Die Weichenstellungen im Jahr 2025 - sei es durch politische Entscheidungen, technologischen Fortschritt oder strategische Investitionen - werden darüber entscheiden, ob die Branche ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnt und von den globalen Wachstumsimpulsen profitieren kann.

März 2024: Die globale Lage der Chemieindustrie: Herausforderungen und Ausblick

Das Lamento Chemieindustrie in Deutschland ist groß: Der Chemieverband VCI beklagt eine schwache Konjunktur, hohe Energiepreise und die überbordende Bürokratie. Doch wie stellt sich die Situation weltweit dar? Wo gibt es Gewinner und Verlierer? Wir blicken zurück auf 2023 und wagen einen Blick in die Zukunft.

Die chemische Industrie steht weltweit, in Europa, Deutschland und den USA vor einer Reihe von Herausforderungen, die ihre Entwicklung und Zukunftsperspektiven prägen. Die jüngsten Prognosen des europäischen Chemieverbands Cefic und des deutschen Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) verdeutlichen, dass die Branche in einer kritischen Phase ist, geprägt von geringem Wachstum, rückläufiger Produktion und schwierigen Marktbedingungen.

In Europa musste die chemische Industrie seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 einen deutlichen Rückschlag hinnehmen, vor allem in Schlüsselsektoren wie Petrochemie, Polymere in Primärformen und anorganische Grundstoffe. Einer der Hauptgründe dafür ist der Anstieg der Energiepreise nach dem Ausfall russischer Gaslieferungen. Hinzu kommen der Rückgang der Nachfrage nach Gütern infolge der Covid-19-Pandemie, Inflation, sinkende Kaufkraft und eine komplexe Regulierungsagenda. Marco Mensink, Generaldirektor des europäischen Chemieverbands Cefic, weist darauf hin, dass die hohen Energie- und Rohstoffkosten die Wettbewerbsfähigkeit Europas auf den globalen Chemiemärkten beeinträchtigen: „Die Energiekosten sind die Achillesferse der europäischen Chemieindustrie. Keine andere Region der Welt ist davon so betroffen wie unsere.“ Auch deshalb stehen Investitionen in Europa unter großem Druck. Währenddessen wird in anderen Regionen, insbesondere in den USA und der Golfregion, wieder vermehrt investiert.

China, der mit Abstand größte globale Chemieproduzent, spielt als größter Handelspartner der EU27 für chemische Erzeugnisse eine entscheidende Rolle - und die Abhängigkeit Europas von chinesischen Importen steigt weiter. Doch trotz der schwierigen Lage erwartet der europäische Chemieverband für 2024 eine allmähliche Normalisierung der Nachfragestrukturen und einen Anstieg der Kaufkraft, was die private Nachfrage ankurbeln könnte. Dennoch bleiben die Wachstumserwartungen für 2024 begrenzt. Nach Schätzungen des Cefic könnte die Chemieproduktion in Europa in diesem Jahr um 1 % steigen.

Sonderfall Deutschland

Die Situation ist in Deutschland, dem größten Chemiestandort Europas besonders kritisch. Der Chemieverband VCI zeigte sich bei der Vorstellung der Jahresbilanz im Dezember auf ganzer Linie enttäuscht: Ohne Pharmageschäft ist die Chemieproduktion 2023 um 11 Prozent gesunken. Die Auslastung der Produktionskapazitäten lag mit 77 Prozent unterhalb der wirtschaftlich notwendigen Grundauslastung von 82 Prozent. 15 Prozent der rund 1.900 Mitgliedsunternehmen würden bereits rote Zahlen schreiben, berichtet der Verband aus einer Mitgliederumfrage. „Wir befinden uns mitten in einem tiefen, langen Tal. Und noch ist unklar, wie lange wir es durchschreiten müssen“, sagt VCI-Präsident Markus Steilemann.

Auch die Zukunftsaussichten seien nicht vielversprechend, mit Erwartungen an weiterhin rückläufige Umsätze und Produktionszahlen. Die Unternehmen stehen unter Druck durch Umsatzrückgang, sinkende Verkaufspreise und hohe Produktionskosten. Dies hat zu drastischen Maßnahmen geführt, einschließlich der Schließung von Produktionsanlagen und der Verlagerung von Investitionen ins Ausland.

BASF, ein führendes Unternehmen in der deutschen Chemieindustrie, kündigte die Schließung wichtiger Produktionsanlagen im Ludwigshafener Werk an, um den steigenden Kosten, insbesondere den hohen Erdgaspreisen, entgegenzuwirken. Dies spiegelt die allgemeine Tendenz in Deutschland wider, in der die Unternehmen gezwungen sind, ihre Kostenstruktur anzupassen und Investitionen ins Ausland zu verlagern.

USA und der globale Wettbewerb gewinnen

Im Gegensatz dazu weist die chemische Industrie in den USA dank jüngster Gesetzgebungen wie dem Inflation Reduction Act und dem Chips Act eine positivere Entwicklung auf. Der US-Chemieverband ACC rechnete in seiner Prognose vom November 2023 zwar mit einem Rückgang der Produktion um 1,9 %, doch 2024 erwartet der Verband für die US-Chemie wieder ein leichtes Wachstum. Nach Zahlen des ACC ist die Chemieproduktion in 2023 weltweit um 0,3 Prozent gestiegen, 2024 könnte das globale Plus sogar 2,9 Prozent erreichen.

Obwohl auch der US-Verband eine ausufernde Regelungswut der US-Regierung für die Chemikalienproduktion beklagt, scheinen die Mitgliedsunternehmen deutlich optimistischer in die nahe Zukunft zu blicken, als ihre Wettbewerber in Deutschland: Die Unternehmensinvestitionen sind im Jahr 2023 um 4,1 % gestiegen. Für 2024 rechnet der Verband allerdings aufgrund höherer Kreditkosten und erwarteten niedrigeren Verbraucherausgaben mit sinkenden Investitionsausgaben.

Dass die weltweite Chemieproduktion in 2023 trotz schwacher Zahlen aus Europa und den USA überhaupt zulegen konnte, liegt vor allem an der vergleichsweise starken Entwicklung der Produzenten im Asien-Pazifik-Raum, allen voran China: Das Plus lag hier bei satten 3,7 Prozent.

Herausforderungen und Licht am Ende des Tunnels

Insgesamt steht die globale Chemieindustrie vor einer ganzen Reihe an Herausforderungen: Regional unterschiedlich hohe Energie- und Rohstoffkosten, eine aktuell schwache Nachfrage, strengere Regulierung und geopolitische Unsicherheit. Die Industrie in Europa und insbesondere in Deutschland hat es besonders schwer, während die USA dank politischer Unterstützung, kostengünstiger Energie und Rohstoffe (Schiefergas) und einem insgesamt positiven Investitionsumfeld eine stabilere Position einnehmen.

Für die Zukunft zeigt sich ein uneinheitliches Bild: Während in einigen Bereichen wie der Petrochemie Überkapazitäten bestehen, könnten Innovation und technologische Fortschritte neue Wachstumschancen schaffen. Die chemische Industrie in Europa, vor allem in Deutschland, wird sich wahrscheinlich auf Effizienzsteigerungen und die Entwicklung neuer Produkte und Technologien (Spezialchemie) konzentrieren, um den Herausforderungen der Energiewende zu begegnen und die Vorgaben des europäischen Green Deal zu erfüllen. In diesem Zusammenhang wird die Digitalisierung eine entscheidende Rolle spielen. Auch die Umstellung auf nachhaltigere Praktiken und die Betonung der Kreislaufwirtschaft werden wichtige Trends in der chemischen Industrie sein. Diese Entwicklungen könnten dazu beitragen, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren und gleichzeitig neue Marktchancen zu eröffnen.

In den USA wird erwartet, dass die Chemieindustrie weiterhin von den Investitionen in saubere Energie und der Stärkung der heimischen Fertigungsbasis profitieren wird. Die Herausforderungen durch höhere Zinssätze und die weltweite Konjunkturabkühlung werden jedoch auch dort spürbar sein. Global gesehen dürfte sich die Chemieindustrie langfristig erholen, da die weltweite Nachfrage nach Chemikalien insgesamt steigt. Die Branche muss sich jedoch an veränderte geopolitische Szenarien und an die Notwendigkeit einer stärkeren Lokalisierung und Diversifizierung der Lieferketten anpassen.

Der Anpassungsdruck in Deutschland und Europa ist besonders groß - denn an den Wettbewerbsnachteilen durch hohe Energie- und Rohstoffpreise wird sich in naher Zukunft nichts ändern.

Autor

Armin Scheuermann

Armin Scheuermann

Chemieingenieur und freier Fachjournalist