Europas Pharmaindustrie in Gefahr? Was Trumps Politik für 2025 und darüber hinaus bedeutet
Weltweit erlebt die Pharmaindustrie einen Aufschwung, doch europäische Hersteller sehen sich mit Herausforderungen konfrontiert: Die neue amerikanische Regierung könnte den Zugang zum wichtigsten Absatzmarkt erschweren – mit gravierenden Folgen für die Pharmaindustrie.
Antidepressiva fördern Schießereien an Schulen und Covid-19-Impfstoffe sind Verbrechen gegen die Menschheit – die Behauptungen von Robert F. Kennedy Jr. reihen sich ein in die Kakophonie schillernder Persönlichkeiten der aktuellen US-Politik. Brisant daran: Kennedy trägt nicht nur einen berühmten Namen, der bekennende Impfgegner ist auch designierter Gesundheitsminister der Trump-Administration. Und die Personalie wirft ein Schlaglicht auf die möglichen Folgen der Trump-Politik für Arzneimittelhersteller in Europa.
Abnehmspritzen, Präparate gegen Krebs und Alzheimer, neue Biologika – in den vergangenen zwei Jahren waren die positiven Meldungen über neue Investitionsprojekte der Pharmaproduzenten in Europa und Deutschland vielfältig und zahlreich. Dieser Trend wird nicht nur durch die Entwicklung neuer Produkte, sondern auch durch spezifische Standortfaktoren vorangetrieben. Aktuell ernten die Hersteller die Früchte ihrer langjährigen Entwicklungsanstrengungen: Bis 2025 könnten allein deutsche Hersteller die Zulassung für 40 neue Präparate erhalten. Doch es ziehen bereits Wolken auf.
Schon 2024 sah sich die chemisch-pharmazeutische Industrie weltweit mit erheblichen wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen konfrontiert. Sowohl in Deutschland als auch in Europa stand der Sektor vor strukturellen Anpassungen, Kostensteigerungen und globalen Marktdynamiken. Die Weltwirtschaft hat nicht wie erhofft Fahrt aufgenommen, was sich auch in den Eckdaten der chemisch-pharmazeutischen Industrie widerspiegelt. Die Branche konnte seit dem zweiten Quartal 2024 nicht an den guten Jahresbeginn anknüpfen. Dies betrifft nicht nur die Branche insgesamt, sondern auch die pharmazeutischen Hersteller. Aktuelle Analysen zeigen, dass die Verkäufe pharmazeutischer Erzeugnisse ins Ausland zuletzt rückläufig waren und die Produktion zurückging.
Deutschland: Herausforderungen für den Standort
Die Bilanz der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Deutschland präsentiert sich laut Branchenverband VCI gemischt. Obwohl die Produktion im Jahr 2024 um 2 Prozent gesteigert werden konnte, liegt sie immer noch 16 Prozent unter dem Niveau von 2018. Insbesondere die Pharmaproduktion verzeichnete einen Rückgang um 1,5 Prozent, bedingt durch Lieferkettenprobleme, Kapazitätsengpässe und hohe Standortkosten. Rückläufige Bestellungen aus Europa und den USA verstärkten diesen Abwärtstrend. Die Auftragslage blieb schwach, und die Produktionskapazitäten wurden lediglich zu 75 Prozent ausgelastet. Seit vier Jahren liegen diese Werte unter dem wirtschaftlich tragfähigen Niveau, was zur dauerhaften Stilllegung von Produktionsanlagen führte.
Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands leidet vor allem unter hohen Produktionskosten, Energiepreisen und zunehmender regulatorischer Belastung. Markus Steilemann, Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), kritisierte die Politik scharf: „Die Kommission reguliert Europa in den Stillstand.“ Die Forderung nach Bürokratieabbau und gezielten Investitionen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Standorte war 2024 dringender denn je. Denn vor allem Chemieunternehmen zeigen verstärkt Bereitschaft, ihre Innovations- und Produktionskapazitäten ins Ausland zu verlagern, vor allem in die USA und nach Asien, wo bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen herrschen. China hat zuletzt stark in die eigene Pharmaindustrie investiert und positioniert sich zunehmend als Konkurrent etablierter europäischer und nordamerikanischer Unternehmen.
Europa: Uneinheitliche Entwicklungen im globalen Wettbewerb
Auch die europäische chemisch-pharmazeutische Industrie sah sich 2024 großen Herausforderungen gegenüber. Hohe regulatorische Hürden bei Arzneimittelpreisen in vielen europäischen Ländern und die steigende Abhängigkeit von außereuropäischen Rohstofflieferanten verschärften laut VCI die Situation. Länder wie Frankreich und Italien verzeichneten sinkende Einkaufsmanagerindizes, was auf eine schwache industrielle Aktivität hindeutete. Dennoch blieb Europa einer der Hauptabnehmer deutscher Pharmaexporte, obwohl auch hier ein Rückgang der Bestellungen spürbar war.
Die größten Unsicherheiten drohen allerdings aus den USA – dem größten und wichtigsten Absatzmarkt für Medizintechnik und Arzneimittel weltweit, in dem etwa die Hälfte des weltweiten Umsatzes im Arzneibereich getätigt wird. Mit einem Anteil von 16,4 Prozent an den weltweiten Ausfuhren sind die USA auch der größte Abnehmer pharmazeutischer Produkte aus Deutschland. Macht der neue US-Präsident Donald Trump mit seinen Industrieplänen ernst, wird dies auch für europäische Pharmahersteller nicht ohne Konsequenzen bleiben. Trump plant nicht nur die Einführung eines generellen Zolls von etwa 10 Prozent auf alle Importe, seine Politik schwächt auch globale Handelsabkommen und könnte zu einer Fragmentierung der Weltwirtschaft führen. Dadurch würde die Planungssicherheit für europäische Pharmaunternehmen deutlich sinken. Eine mögliche Konsequenz: Forschung und Produktion könnten zunehmend in die USA verlagert werden. Alleine in der deutschen Pharmabranche hängen etwa 28 Prozent der Arbeitsplätze von Exporten in die USA ab.
Wie real diese Befürchtungen sind, lässt sich allerdings kaum abschätzen – zu unberechenbar waren in der Vergangenheit die politischen Manöver Trumps – und auch die EU-Kommission droht bereits mit Gegenmaßnahmen. Dazu kommt, dass die EU für die Pharmaindustrie ein wichtiger Innovationsraum ist. Projekte wie die Förderung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) und eine verstärkte Ausrichtung auf nachhaltige Produktionsmethoden kennzeichnen die Trends. Auch die Politik hat dies erkannt und flankiert die Bemühungen der Branche beispielsweise in Deutschland mit der in 2024 implementierten Nationalen Pharmastrategie.
Trends und Innovationen als Schlüssel zur Zukunft
Megatrends wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Biotechnologie prägen zunehmend die chemisch-pharmazeutische Industrie. Forschung und Entwicklung (F&E) bleiben zentrale Bereiche. Deutsche Pharmaunternehmen investieren laut BPI weiterhin rund 16 Prozent ihres Umsatzes in innovative Technologien und Produkte. Biopharmazeutika, personalisierte Medizin und digitale Gesundheitslösungen wie DiGA stehen im Fokus der Innovationsagenda.
Die grüne Transformation ist ein weiterer zentraler Trend. Der Druck, chemische und pharmazeutische Prozesse und Produkte umweltfreundlicher zu gestalten, führt zu intensiven Investitionen in nachhaltige Technologien. Die Integration von künstlicher Intelligenz (KI) in Produktions- und F&E-Prozesse wird als Schlüsselinnovation angesehen, um Effizienzsteigerungen zu ermöglichen und Produktionskosten zu senken.
Verhaltener Optimismus für 2025
Die Aussichten für 2025 sind verhalten optimistisch. Der VCI prognostiziert für die chemisch-pharmazeutische Industrie in Deutschland ein geringes Produktionswachstum von 0,5 Prozent. Während die Pharmasparte eine leichte Erholung erfahren könnte, wird die Chemie wahrscheinlich stagnieren. Weltweit wird der Markt weiterhin von der starken Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen und neuen Arzneimitteln angetrieben. Im aktuellen „Pharmaceutical Chemicals Global Market Report 2025“ prognostiziert das Marktforschungsunternehmen The Business Research Company bis 2029 eine jährliche Wachstumsrate von 7,4 Prozent.
Fazit: Die Herausforderungen des Jahres 2024 haben die strukturellen Schwächen und Anpassungsbedürfnisse der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Deutschland offengelegt. Vor allem politische Unsicherheiten bremsen derzeit den Ausbau der Industrie. Die erfolgsverwöhnte Branche sieht sich einem heftigen Gegenwind aus US-Handelspolitik und verschärften Regularien ausgesetzt. Doch die Stärke der europäischen Pharmaindustrie - besonders bei Innovation und Forschung – gibt Anlass zur Hoffnung. Der F&E-Anteil von 10 Prozent am Produktionswert liegt dreimal höher als der Industriedurchschnitt. Die Neuausrichtung der Produktionsprozesse und der digitale Wandel eröffnen vielversprechende Perspektiven. Politisch dürften die kommenden Jahre turbulent werden – oder wie ein Zeit-Journalist einst schrieb: „Trump ist unberechenbar – und stolz darauf.“
März 2024: Pharmaindustrie in 2024 vor Herausforderungen und Chancen
Blockbuster oder individuelle Arznei? Die Möglichkeiten für Arzneimittelhersteller erscheinen schier endlos. Doch die erfolgsverwöhnte Branche sieht sich zuletzt einem heftigen Gegenwind aus Wettbewerb, regulativen Eingriffen und grassierenden Kosten gegenüber. Das zwingt viele Hersteller zum Umdenken – und dem Einsatz neuer Technologien und Methoden.
Mit dem Wirkstoff Semaglutid gelang Novo Nordisk ein ganz großer Wurf: Das Präparat katapultierte den dänischen Pharmakonzern in 2023 quasi über Nacht an die Spitze der wertvollsten börsennotierten Unternehmen in Europa. Und Novo Nordisk hat den Wachstumsmarkt für Abnehmspritzen bislang fast für sich alleine: Lediglich der amerikanische Wettbewerber Eli Lilly bietet bislang ein Alternativpräparat an. Die Erwartungen der Aktionäre kommen nicht von ungefähr: Analysten der Investmentbank Goldman Sachs schätzen, dass die Umsätze mit Abnehmspritzen bis 2030 von derzeit 6 Milliarden US-Dollar auf 100 Milliarden Dollar wachsen werden. Auch deshalb will Lilly im pfälzischen Alzey ein neues Werk bauen und 2,5 Milliarden Dollar investieren.
Der Hype um die neuen Abnehm-Präparate wirft ein Schlaglicht auf die aktuellen Entwicklungen in der Pharmazeutischen Industrie. Denn nach dem Boom in den Corona-Jahren ist die Branche zuletzt hart gelandet. In 2022 erzielte die Branche in Deutschland noch ein moderates Produktionswachstum von drei Prozent, in 2023 schrumpfte die Produktion der erfolgsverwöhnten Industrie laut Branchenverband vfa um 1,4 Prozent und auch 2024 rechnet der Verband lediglich mit einem Plus von 2,0 Prozent.
Vor allem in Deutschland und Europa machen der Branche die gestiegenen Energiepreise zu schaffen: Im Gegensatz zur Chemieindustrie ist die Energieintensität der Pharmaproduktion zwar unterdurchschnittlich, doch die Hersteller sind auf Vorleistungen aus energieintensiven Industrien angewiesen. Dazu kommen Inflation, hohe Zinssätze, neue Steuergesetze und wachsende politische Risiken.
Preissetzungsmacht führt zum Vertrauensverlust
In den USA, dem wichtigsten Markt für Arzneimittel, droht zusätzliches Ungemach: Als Reaktion steigende Preise hat die Biden-Administration im Zuge des Inflation Reduction Act beschlossen, dass künftig die Preise für einige der am häufigsten verwendeten Medikamente erstmals verhandelbar sein sollen. Nach dem Hype um die Leistungsfähigkeit der Arzneimittelhersteller zur Bekämpfung der Covid-Pandemie war der Absturz jäh: Nicht zuletzt die Diskussion um den Inflation Reduction Act rückte die Hochpreispolitik einiger Originalpräparate-Hersteller negativ ins Rampenlicht. Der Vertrauensverlust führt dazu, dass künftig Entscheidungen der Unternehmen – seien es Preisentscheidungen, Fusionen und Übernahmen, Investitionen in künstliche Intelligenz oder Personalabbau – genau unter die Lupe genommen werden.
Doch es sind nicht nur die steigenden Kosten und der kritischere Blick der Öffentlichkeit, die das Umfeld für Arzneimittelhersteller belasten. Denn der Eindruck durch die Erfolgsmeldungen um Abnehmspritzen täuscht: Der Wettbewerb wird im Pharmamarkt immer schärfer – und das nicht nur bei Blockbuster-Themen wie der Behandlung von Diabetes und Fettleibigkeit. Immer mehr Hersteller forschen deshalb an Präparaten für seltene Krankheiten oder individualisierten Therapieansätzen – und sind bereit, dafür höhere Risiken einzugehen. Vor allem vom Einsatz transformativer Technologien wie künstlicher Intelligenz und digitaler Gesundheit in der biopharmazeutischen Forschung erhoffen sich Arzneimittelhersteller spannende neue Möglichkeiten. Die Fähigkeit, sich diese technologischen Fortschritte zu eigen zu machen, wird zu einem immer wichtigeren Wettbewerbsfaktor.
Künstliche Intelligenz in der gesamten Pharma-Wertschöpfungskette einsetzen
Dabei geht es längst nicht nur um den Einsatz von KI in der Wirkstoffentwicklung. Potenzial liegt in der gesamten pharmazeutischen Wertschöpfungskette – vom Identifizieren aussichtsreicher Wirkstoffe, über die Planung klinischer Studien, dem Verfassen von Dokumenten bis hin zum Marketing und zur Kundengewinnung. Das Marktforschungsunternehmen PwC schätzt, dass Generative Künstliche Intelligenz in mehr als 200 Bereichen der Arzneimittelherstellung einen signifikanten Wertbeitrag liefern kann.
Doch auch an anderen Stellen besteht Handlungsbedarf: Während das Umsatzwachstum vor allem mit Blick auf die „Börsenstory“ nach wie vor wichtig ist, um notwendiges Kapital einzusammeln, rückt auch das Kostenmanagement in den Vordergrund. Ein prominentes aktuelles Beispiel liefert der Bayer-Konzern: Der Pharma- und Agrochemiehersteller will bis Ende 2025 tausende Stellen streichen – vor allem im Management. Konzernchef Bill Anderson setzt dabei auf einen Kulturwandel, in dem Führungskräfte eher als Coach für ihre Mitarbeiter agieren, während die Mitarbeiter mehr Entscheidungskompetenzen erhalten. Aber auch andere Unternehmen der Pharmaindustrie haben zuletzt Sparmaßnahmen angekündigt. Denn der Kostendruck steigt: Hohe Lohnabschlüsse als Folge der Inflation belasten genauso wie teurere Energie und steigende Preise für Vorprodukte. Und letztere sind infolge von Betriebsstillegungen der aktuell noch viel stärker gebeutelten Chemieindustrie immer häufiger nicht mehr vom angestammten Lieferanten erhältlich. Dazu kommt, dass bei vielen Cash-Cows der Arzneimittelhersteller der Patentschutz ausläuft. Allein in 2023 haben Schätzungen des Marktforschungsunternehmens Evaluate Pharma zufolge Arzneimittel mit einem Jahresumsatz von 57 Milliarden US-Dollar ihren Patentschutz verloren. Und auch die erfolgsverwöhnten Hersteller von biopharmazeutischen Arzneimitteln müssen seit 2022 den Gürtel enger schnallen: Die Helden der Covid-Pandemie haben deutlich an Börsenwert verloren und auch gestiegene Zinsen lasten auf der Bereitschaft, Wagniskapital einzusetzen.
Fazit:
2024 dürfte für die globale Pharmaindustrie ein spannendes Jahr werden, das sowohl Chancen als auch Herausforderungen birgt. Die Hersteller müssen sich wie nie zuvor ihr Wettbewerbsumfeld klar machen, Innovation vorantreiben und gleichzeitig die Kosten im Blick behalten. KI und andere neue Technologien werden dabei immer wichtiger, strategische Zusammenschlüsse und Akquisitionen sind ebenfalls probate Mittel im Kampf um eine zukunftsfähige Aufstellung. Denn auch jenseits von Abnehmspritzen – beispielsweise in der Bekämpfung von Krebs und Alzheimer – gibt es lukrative Felder, in denen Arzneimittelhersteller einen Beitrag leisten können.