• 08.04.2025
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New Food – Wie Nachhaltigkeit die Lebensmittelentwicklung vorantreibt

Durch die Lebensmittelindustrie schwappt derzeit eine Innovationswelle, die weit über den Tellerrand hinausreicht – von pflanzlichen Käsealternativen bis hin zu Fischfilets, die nie im Meer geschwommen sind. Aber New Food beschäftigt nicht nur die Produzenten – auch die Verpackungsbranche stellt sich die Frage: Wie können wir diese Entwicklung verantwortungsvoll begleiten?

Geschrieben von Armin Scheuermann

Frozen vegetables in paper packaging
Nachhaltigkeit ist ein wesentlicher Trend in der Lebensmittelindustrie und Treiber für die „New Food“-Entwicklungen.

„USA bitten EU-Länder um Eier“ – angesichts der Zoll-Drohungen des amerikanischen Präsidenten sorgte diese Schlagzeile Mitte März bei vielen Europäern für Kopfschütteln. Die Berichte rund um den Eiermangel in Amerika werfen ein Schlaglicht auf ein zentrales Problem der Welternährung. Massentierhaltung macht unsere Ernährungssysteme anfällig gegen pandemische Risiken: In den USA mussten aufgrund der dort grassierenden Vogelgrippe seit 2022 über 166 Millionen Geflügeltiere getötet werden. Vogelgrippe, Maul- und Klauenseuche oder Schweinepest sind die offensichtlich brutale Seite der Tierhaltung; Land- und Wasserverbrauch die andere: In Europa werden rund 70 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen für den Anbau von Tierfutter genutzt.

Dass es auch anders geht, zeigt das Berliner Start-up-Unternehmen Neggst Foods. Neggst Foods vermarktet derzeit die Idee „Bettr Egg“ – Eiprodukte auf Pflanzenbasis, die ihrem natürlichen Vorbild in jeder Hinsicht nachempfunden sind. Denn ein komplexes Zusammenspiel von Ionen und algenbasierten Hydrokolloiden sorgt bei den Produkten auf Basis pflanzlicher Proteine dafür, dass das Eigelb einen kugelförmigen Dotter mit Dotterhaut bildet. Das Eiklar besteht hauptsächlich aus Proteinen und Hydrokolloiden - das sind Polysaccharide, die sich leicht zu einem Gel vernetzen.

Was gestern noch Utopie war, liegt heute bereits im Regal – oder wächst im Bioreaktor: „New Food“ steht für eine Revolution in der Ernährung, und Nachhaltigkeit ist ihr Taktgeber. Der Begriff mag futuristisch klingen, beschreibt jedoch eine sehr reale Kategorie: „New Food“ sind Lebensmittel, die in der EU vor dem 15. Mai 1997 kaum konsumiert wurden und daher einer Zulassung nach der EU-Novel-Food-Richtlinie unterliegen. Doch auch jenseits der rechtlichen Definition ist das Modewort inzwischen zum Inbegriff einer Neuausrichtung der Lebensmittelproduktion geworden. Im Fokus stehen pflanzliche Proteine, fermentierte Zutaten, kultivierte Zellprodukte und bislang in Europa kaum genutzte Rohstoffe wie Algen oder Insekten. Das Ziel: unsere Ernährung ressourcenschonender, klimaeffizienter und gleichzeitig genussvoller zu gestalten – mit alltagstauglichen Alternativen zu Fleisch, Fisch und Milch.

Vom Labor auf den Markt – bereits Realität

Dass „New Food“ keine Zukunftsmusik mehr ist, zeigen zahlreiche Start-ups und Scale-ups in ganz Europa. In Wien etwa produziert Revo Foods mittels 3D-Druck pflanzliche Lachsfilets - auf Basis von Mykoprotein, einem proteinreichen Inhaltsstoff, der durch die Fermentation von Pilzkulturen entsteht. Es enthält alle neun essentiellen Aminosäuren, hat eine fleischähnliche Textur und ist reich an Ballaststoffen. Revo Foods verwendet ein speziell gezüchtetes Myzel, das eine besonders gute Struktur aufweist. Das Produkt sieht echtem Lachs täuschend ähnlich.

Einen Schritt weiter geht Bluu Seafood aus Hamburg: Das Biotech-Unternehmen züchtet Fischzellen in Edelstahltanks und verspricht nachhaltige Fischfilets ohne Beifang, Antibiotika oder Mikroplastik. Parallel dazu entwickelt Solar Foods in Finnland ein mikrobielles Protein namens „Solein“, das aus CO₂, Wasserstoff und Strom hergestellt wird – eine radikale Innovation mit minimalem Flächen- und Wasserverbrauch. Spätestens hier - aber auch schon bei der Herstellung und Verarbeitung von Proteinen – schließt sich der Kreis zu den Maschinenlösungen, die auf der POWTECH TECHNOPHARM 2025 zu sehen sein werden.

Nachhaltigkeit als zentrales Element

Allen Innovationen gemeinsam ist die klare Ausrichtung auf Nachhaltigkeit. Laut einer Studie des Forschungsinstituts CE Delft reduziert kultiviertes Fleisch den CO₂-Ausstoß im Vergleich zur konventionellen Tierhaltung um bis zu 90 Prozent. Auch der Wasserverbrauch sinkt drastisch: Während für ein Kilogramm Rindfleisch bis zu 15.000 Liter Wasser benötigt werden, kommen Insekten oder fermentierte Proteine mit einem Bruchteil aus.

Ein weiterer Vorteil ist der geringe Flächenbedarf. Mikroalgen wie die Goldene Chlorella wachsen in geschlossenen Systemen, brauchen weder Ackerland noch Pestizide - und liefern hochwertiges Eiweiß und Omega-3-Fettsäuren. Kein Wunder also, dass Unternehmen wie BettaF!sh aus Berlin Algen bereits in Sandwiches, Brotaufstrichen und pflanzlichen Thunfischen verarbeiten. Und die Beispiele von Revo Foods bis BettaF!sh sind nur die Spitze des New-Food-Eisbergs: In der EU werden Start-ups mit innovativen Ernährungsideen inzwischen über das Programm RisingFoodStars organisiert und gefördert. Seit 2018 haben bereits über 130 Unternehmen an dem Programm teilgenommen, das sich an vielversprechende Agrifood- und FoodTech-Scale-ups in Europa richtet.

Dennoch wäre es zu einfach, „Neue Lebensmittel“ pauschal als nachhaltig zu bezeichnen. Die Technologien müssen ihre Umweltvorteile erst durch Lebenszyklusanalysen, transparente Kommunikation und klare Standards unter Beweis stellen. Nur wenn Produktion, Logistik und Verpackung gemeinsam nachhaltig gedacht werden, kann das Versprechen eingelöst werden.

Faser-Formkarton für Lebensmittel
Ob das Konzept der Nachhaltigkeit ganzheitlich gedacht ist, entscheidet sich auch bei der verwendeten Verpackung

Auch an der Verpackung entscheidet sich, wie nachhaltig New Food ist

Gerade bei der Verpackung zeigt sich, ob das Konzept der Nachhaltigkeit wirklich ganzheitlich gedacht wird. Viele neue Produkte erfordern angepasste Verpackungslösungen – sei es aufgrund ihrer empfindlichen Textur, ihrer mikrobiologischen Eigenschaften oder ihrer kurzen Haltbarkeit. Gleichzeitig erwarten Verbraucher eine ökologische Verpackung, die das Produkt schützt, ohne die Umwelt zu belasten.

Unternehmen wie NotPla aus Großbritannien zeigen, wie es geht: Ihre Algenfolie ist biologisch abbaubar, essbar und ersetzt Portionsverpackungen aus Kunststoff. Auch Pack2Earth aus Deutschland stellt auf der FACHPACK 2025 ihre biobasierten Materialien vor - sie entwickeln Hüllen aus pflanzlichen Reststoffen, die kompostierbar und speziell auf die Anforderungen von "New Food"-Produkten zugeschnitten sind.

Auch intelligente Verpackungstechnologien wie die von Senoptica bringen frischen Wind in den Markt: Farbwechselnde Etiketten zeigen an, ob ein Produkt noch genießbar ist - das verhindert unnötige Verschwendung und stärkt das Vertrauen der Verbraucher.

Bequemlichkeit und Nachhaltigkeit: Kein Widerspruch

Nachhaltigkeit und Convenience gelten oft als unvereinbare Gegensätze. New Food"-Innovationen zeigen jedoch, dass sich beides verbinden lässt. So produziert das Start-up Planet A Foods kakaofreie Schokolade auf Basis von Hafer und Sonnenblumenkernen - sie kommt nicht nur ohne tropische Rohstoffe aus, der Hersteller betont auch, dass Nachhaltigkeit nicht bei der Rezeptur endet, sondern künftig auch in die Verpackungskonzepte einfließen soll.

Im Lieferbereich gewinnen digitale Mehrwegsysteme an Bedeutung: Unternehmen wie Recup und VYTAL bieten Behälter mit App-basierter Rückgabe an - ein Konzept, das vor allem im Take-away- und Convenience-Segment Fuß fasst und sich auch für neue Lebensmittel eignet. Darüber hinaus experimentieren Hersteller mit modularen Verpackungseinheiten: Portionsgenaue Dosierungen, intelligente Verschlüsse und intuitive Öffnungsmechanismen erhöhen den Komfort - und helfen gleichzeitig, Lebensmittelabfälle zu vermeiden.

FACHPACK und POWTECH TECHNOPHARM 2025: Bühne für Zukunftsvisionen

Die Verpackungsbranche steht vor einer Zeitenwende - und die FACHPACK 2025 wird zum Schaufenster dieser Entwicklung. Unter dem Leitthema „Sustainability meets Innovation“ rückt die Messe die Zukunftsthemen der Branche ins Rampenlicht. Zahlreiche Aussteller präsentieren nicht nur nachhaltige Materialien, sondern zeigen auch, wie Verpackungen zu funktionalen Bestandteilen digitaler Lieferketten werden – etwa durch Rückverfolgbarkeit via Blockchain oder Smart Labels zur Frischekontrolle.

Einen Anreiz für Innovationen im Kontext von „New Food“ bietet schließlich der Deutsche Verpackungspreis 2025. Hier werden unter anderem Lösungen prämiert, die Convenience und Umweltverantwortung in Einklang bringen - ein Zeichen dafür, dass Verpackung heute nicht nur schützt, sondern auch gestaltet.

Und Technologien für die Produktion von Proteinen & Co. werden parallel dazu auf der POWTECH TECHNOPHARM gezeigt werden.

Fazit: Nachhaltigkeit beginnt vor dem ersten Bissen

„New Food“ steht für mehr als nur neue Zutaten – es steht für einen systemischen Wandel, der Landwirtschaft, Technologie, Kultur und Konsumverhalten gleichermaßen betrifft. Unternehmen wie Willicroft mit pflanzlichem Käse, Ÿnsect mit Mehlwurmprotein oder Lovely Day Foods mit bioidentischen Milchproteinen zeigen, wie vielfältig und mutig Europa in diese Zukunft aufbricht. Der Wandel wird aber nur gelingen, wenn alle Glieder der Kette mitziehen – von der Züchtung über die Verarbeitung bis zur Verpackung. Die FACHPACK 2025 bietet dafür die Plattform, auf der sich Lebensmittel- und Verpackungsindustrie vernetzen, austauschen und gemeinsam die Zukunft gestalten können. Denn am Ende zählt nicht nur, was wir essen – sondern auch, wie wir es herstellen, verpacken und weitergeben. „New Food“ bietet die Chance, Ernährung neu zu denken.

Autor

Armin Scheuermann
Armin Scheuermann
Chemical engineer and freelance specialised journalist