Kunststoffmarkt in Europa: Wie und wann kommt die Trendwende?
07.03.2025 Look into the World of Processing Artikel

Kunststoffmarkt in Europa: Wie und wann kommt die Trendwende?

Wer sich für den Kunststoffmarkt interessiert, hat in den vergangenen Tagen mit Spannung auf die Geschäftszahlen 2024 der großen Chemieunternehmen wie BASF, Covestro und LyondellBasell gewartet. International läuft es bei den meisten nicht schlecht, in Europa dagegen eher mau. Wie kann die Trendwende gelingen? Eine Rolle könnte die Förderung der Kreislaufwirtschaft spielen.

Nahaufnahme eines Müllbehälters mit Plastikabfällen: unter anderem Verpackungen, Becher, Flaschenverschlüsse und Plastikfolien Kunststoffabfall aus Haushalten wird bereits weitgehend recycelt. Für viele andere Materialien müssen noch Kreislauflösungen entwickelt werden.

Das Segment Materials der BASF ist ein weltweit führender Anbieter von Hochleistungskunststoffen. Auch die Vorprodukte, insbesondere großvolumige Monomere, und Basispolymere gehören dazu. Seine Entwicklung ist ein Indikator für den Kunststoffmarkt. Dass der Umsatz 2024 um 4,5 Prozent unter dem des Vorjahres lag, bei Performance Materials sogar um 5,5 Prozent, lässt für den Gesamtmarkt nichts Gutes erwarten. Ein leichtes Mengenwachstum von 2,1 Prozent in Verbindung mit teilweise stark rückläufigen Preisen führte unterm Strich zu diesem unbefriedigenden Ergebnis.

Immerhin wuchs das EBITDA leicht – bei höheren Fixkosten. Gerade noch ganz ordentlich, dank der globalen Ausrichtung. Und in seiner Prognose geht der Konzern für 2025 von einem weiteren leichten Anstieg des EBITDA aus – durch Mengensteigerung bei stabilen Margen. Die europäischen Standorte, allen voran Ludwigshafen, werden jedoch durch ein geringes europäisches Marktwachstum und hohe Gaspreise belastet. 

Ein männlicher Wissenschaftler mit Schutzbrille und blauen Handschuhen arbeitet in einer sterilen Werkbank mit einer Mehrkanalpipette Rund 100 Millionen Euro investiert Covestro, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Die Stärkung von Forschung und Entwicklung zahlt in Zukunftstechnologien zur Umsetzung einer vollständigen Kreislaufwirtschaft ein.

Wachstum international, Verluste in Europa

Das ist das Problem der meisten Kunststoffproduzenten. So auch bei Covestro. Der Kunststoffhersteller erzielte 2024 einen stabilen Milliardengewinn. In Deutschland schreibt er jedoch weiter rote Zahlen, obwohl er seine verkauften Mengen noch deutlicher als BASF steigern konnte. CEO Markus Steilemann betont, dass das Geschäft in Deutschland dennoch für Covestro Zukunft habe. Angesichts der bevorstehenden Übernahme durch den arabischen Ölkonzern Adnoc ist das nicht selbstverständlich. In Europa inklusive Deutschland soll ein mittlerer dreistelliger Millionenbetrag investiert werden, jedoch wohl kaum in energieintensive Großanlagen. Besser sieht es für das Spezialitätengeschäft aus. Ansonsten stehen weitere Effizienzsteigerungen an.

Die neue deutsche Regierung ist nun gefragt. Steilemann fordert von der Politik stabil verfügbare Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen, die Entschlackung von Genehmigungsverfahren und weitere Entbürokratisierung sowie eine Senkung der Unternehmenssteuern. In seiner Funktion als VCI-Präsident erwartet er, dass Berlin in Brüssel wieder eine führende Rolle übernimmt: „Die Politik muss jetzt liefern – pragmatisch, ideologiefrei und mit dem Mut zum Kompromiss. Nur so bleibt Deutschland ein attraktiver Industriestandort.“

Saisonal höhere Nachfrage in verschiedenen Produktlinien

Auch LyondellBasell Industries, der drittgrößte Produzent von Polyolefinen mit Sitz in Rotterdam, wird unter anderem von steigenden Erdgaspreisen, schwacher globaler Nachfrage und niedrigen Margen betroffen. Mit einem EBITDA von 3,5 Milliarden US-Dollar schloss der Konzern jedoch ebenfalls gut ab. Im Unternehmenssegment Advanced Polymer Solutions erholten sich zwar die Margen, doch der weltweite Rückgang der Automobilproduktion begrenzte den positiven Effekt. Als Indikator für eine Erholung wertet das Unternehmen, dass sich die nordamerikanische Inlandsnachfrage nach Polyolefinen im Jahr 2024 nach zwei Jahren des Rückgangs erholt hat. Für das erste Quartal 2025 erwartet es eine saisonale Verbesserung der Nachfrage in den meisten Produktlinien.

Porträtfoto von Virginia Janssens Virginia Janssens, Geschäftsführerin von Plastics Europe: „Die europäische Kunststoffherstellung ist für die Zukunft der industriellen Basis der EU und für eine größere strategische Autonomie von entscheidender Bedeutung. Ohne die Umsetzung der dringend erforderlichen Maßnahmen wird Europa zunehmend von Importen von Kunststoffgranulaten und Fertigwaren aus Regionen mit oft weniger strengen Umweltstandards abhängig sein.“

Europa fällt weiter hinter Asien zurück

Insgesamt stagniert in Europa die Menge der hergestellten Kunststoffe – wie schon seit rund zehn Jahren – oder ist sogar weiter rückläufig. Die Zahlen des Verbands Plastics Europe zeigten einen starken Rückgang um 8,3 Prozent im Jahr 2023 gegenüber Vorjahr. Ein kurzer positiver Trend in den ersten beiden Quartalen 2024 setzte sich nicht fort. In Asien dagegen steigt die produzierte Menge weiterhin. Europas Anteil am Weltmarkt sank von 22 Prozent im Jahr 2006 auf 12 Prozent im Jahr 2023.

In der Verpackungsbranche, darauf entfällt in Deutschland mit rund einem Drittel der größte Anteil Kunststoffe, gilt immer häufiger: Weniger ist mehr. Im Baugewerbe und in der Automobilindustrie, den nächstgrößten Verwendern, ist die Entwicklung durchwachsen. Europas Automobilbauer freuen sich über ein Produktionsplus, sind aber noch lange nicht wieder beim Produktionsvolumen von 2019 angekommen. Die Baukonjunktur stabilisiert sich bestenfalls auf niedrigem Niveau. Dort werden immer mehr Recyclingkunststoffe eingesetzt. Gerade in Deutschland, in dem etwa ein Drittel des Kunststoffs entsteht, hat das Recycling eine nach wie vor große Bedeutung. Kunststoffabfälle werden zum Großteil werkstofflich und rohstofflich, auch energetisch verwertet. Die Kreislaufwirtschaft funktioniert verhältnismäßig gut. Doch selbst bei der Produktion recycelter Kunststoffe kam es 2023 zu einem Rückgang in Europa. Der Grund: Billigimporte.

Ein helles Kunststoffrohr mit Aufdruck Uponor Aqua läuft durch zwei Edelstahlwalzen einer Produktionsanlage Schwer recycelbarer Kunststoffabfall kann durch chemisches Recycling in hochwertige Polymerprodukte wie Kunststoffrohre umgewandelt werden. Dies zeigt ein Gemeinschaftsprojekt von Neste, Borealis, Uponor und Wastewise.

Kunststoff als strategischer Rohstoff für strategische EU-Sektoren

Der europäische Verband warnt, dass beim Clean Industrial Deal die Gefahr bestünde, die Bedeutung der Kunststoffherstellung für Europas industrielle Basis zu übersehen. In diesem Zusammenhang unterstützt Plastics Europe nachdrücklich die Wettbewerbsfähigkeits- und Dekarbonisierungsagenda der EU. Geschäftsführerin Virginia Janssens sagt: „Sie [Kunststoffe] liefern wichtige Rohstoffe für strategische EU-Sektoren wie die Automobilindustrie, Netto-Null-Technologien, das Gesundheitswesen, das Baugewerbe und die Verteidigung, und sie spielen auch eine wichtige Rolle beim Wandel dieser Branchen.“ Sie weist auf die Gefahr hin, dass Europa immer abhängiger von Kunststoffen aus Regionen mit weniger strengen Umweltstandards werden könnte und warnt: „Das Zeitfenster, um die Wettbewerbsherausforderungen unserer Branche anzugehen und ein günstigeres Investitionsklima zu schaffen, schließt sich rasch. […] Unsere Industrie kann unsere Klimaneutralitäts- und Kreislaufambitionen nicht erfüllen, wenn wir nicht wettbewerbsfähig genug sind, um zu investieren.“ Ihre Forderungen an die EU-Kommission: unter anderem ein Aktionsplan zur Zukunft des europäischen Kunststoffsektors, die Berücksichtigung der Branche bei Innovationsfinanzierungen und den Aufbau und Schutz eines Binnenmarktes für Abfälle, recycelte und biobasierte Materialien.

Recycling-Technologien fördern

Plastics Europe schlägt außerdem Förderprogramme für Pilotanlagen und Demonstrationsprojekte vor, um neue Recycling-Technologien schneller in die Praxis zu bringen. Industrie- und Anwendungsforschung sollten gezielt unterstützt werden, damit Innovationen nicht in frühen Entwicklungsstufen stecken bleiben. Die deutsche Geschäftsführerin Dr. Christine Bunte bringt zudem neben wettbewerbsfähigen Energiepreisen und dem Abbau von bürokratischen Belastungen gezielte Investitionsanreize in Kreislaufwirtschaftstechnologien wie der Sammlung, Sortierung und dem Recycling von Kunststoffabfällen ins Spiel. Darüber hinaus fordern einschlägigen Verbände fordern, zügig weitere sichere Recyclingverfahren für den Einsatz im Lebensmittelbereich zuzulassen.

Transformation zur Kreislaufwirtschaft stärkt Europas Kunststoffbranche

Von einer Kreislaufwirtschaft, in der Kunststoffe so effizient und lange wie möglich genutzt und danach wiederverwertet werden, würden nicht nur die Umwelt, sondern auch europäische Kunststoffhersteller profitieren. Innovationen, die Recycling erleichtern, gibt es bereits – und viele werden folgen. Wer den Rezyklatmarkt stärkt, stärkt die gesamte Branche. Hier gibt es noch viel Potenzial. „Die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage wird bei Kunststoffrezyklaten in den nächsten Jahren immer größer und stellt die Industrie vor ein fundamentales Problem“, erläutert Dr. Oliver Möllenstädt, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Kunststoff verarbeitenden Industrie (GKV). Bis 2030 könne sich EU-weit eine Lücke von 3,5 Millionen Tonnen ergeben. Um sie zu füllen, schlägt Michael Weigelt, Geschäftsführer TecPart – Verband technische Kunststoff-Produkte vor, Post-Industrial-Rezyklate als gleichwertig zu Post-Consumer-Rezyklaten zu stellen. Zudem regt er an, die Hersteller der Rezyklate von Abgaben, etwa Netzentgelten, zu befreien und ihre Stromkosten zu senken, damit ihre Produkte wettbewerbsfähig gegenüber Importen bleiben.

Importe werden sowohl bei Neu-Kunststoffen als auch bei recycelten Kunstoffen weiterhin in großem Umfang nötig sein. Doch der Import von Produkten, die nicht den europäischen Vorgaben entsprechen, muss gestoppt werden. Die Verbände werten die in der bereits in der EU-Verpackungsverordnung vorgesehene Pflicht zur Zertifizierung von importierten Rezyklaten durch einen unabhängigen Dritten als Schritt in die richtige Richtung. Auch die Förderung von chemischem Recycling, wie sie Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des VCI fordert, unterstützt das Ziel einer grünen Transformation für die Kunststoffindustrie.

Autor

Ulla Reutner

Dr. Ulla Reutner

Chemikerin und freie Fachjournalistin