Energieeffizienz in der Pharmaindustrie: Auf der Suche nach den low hanging fruits
09.01.2025 Produzieren Artikel

Energieeffizienz in der Pharmaindustrie: Auf der Suche nach den low hanging fruits

Nachhaltiger produzieren, die Lieferkette robuster machen und dabei auch noch Geld sparen? Was nach Clickbait klingt, ist so naheliegend, dass es wundert, dass das Potenzial für Energieeffizienzmaßnahmen in Pharmaunternehmen bislang noch so groß ist. Hier erfahren Sie, wo die versteckten Potenziale liegen.

Messebesucher an einem Wirbelschicht-Trockner Energieeffizienz wird in der Pharmaproduktion immer mehr zum Thema. Effiziente Trocknungsprozesse bieten hier großes Potenzial.

Fragt man Pharmazeuten nach den Energiekosten ihrer Produktion, erntet man meist Achselzucken. Denn mit nur rund einem Prozent des Bruttoproduktionswertes ist der Anteil der Energiekosten im Vergleich zu den Aufwendungen für Forschung und Entwicklung, Marketing und Vertrieb oder den regulatorischen Kosten vergleichsweise gering. Auch deshalb spielt das Thema Energieeffizienz in der Pharmaindustrie bislang keine große Rolle. Doch das ändert sich, denn immer mehr Arzneimittelhersteller setzen sich ehrgeizige Ziele in Sachen Nachhaltigkeit und Klimaneutralität. Und nicht zuletzt die Energiekrise nach dem russischen Angriffskrieg hat uns die Bedeutung einer stabilen Energieversorgung vor Augen geführt. Letztlich werden Lieferketten stabiler, wenn weniger Produktionsmittel eingekauft werden müssen - und spätestens dann sollten auch Pharmazeuten an Energieeffizienzmaßnahmen interessiert sein.

Mit optimierter HVAC und Containment zu Energieeinsparungen

Eine aktuelle Studie von Capgemini zeigt, dass sich durch gezielte Maßnahmen in der Pharmaproduktion bis zu 20 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs einsparen lassen. Und das beginnt bei Heizung, Lüftung und Klimatisierung - ein Gewerk, das unter dem Akronym „HVAC“ zusammengefasst wird: Mehr als 50 Prozent des Energieverbrauchs in pharmazeutischen Produktionsstätten entfallen laut Studie auf HVAC-Systeme. Sie sind unverzichtbar, um die hohen Anforderungen an Luftqualität und Hygiene in Reinräumen zu erfüllen. Häufig sind jedoch die Luftwechselraten höher als notwendig oder die Steuerung der Luftströme nicht optimal abgestimmt. Allein durch eine optimierte Regelung der Temperatur und der Luftzufuhr sind bei RLT-Anlagen Einsparungen von bis zu 20 Prozent möglich. Darüber hinaus können Wärmerückgewinnungssysteme den Energiebedarf deutlich senken, indem sie die Abwärme der Lüftungsanlagen für andere Prozesse nutzbar machen.

Messebesucher an einem Wirbelschicht-Trockner Containmentsysteme ermöglichen es, die Flächen von Reinraumbereichen zu begrenzen – und damit den Energiebedarf für Heizung, Lüftung und Klimatisierung zu senken.

Ein wesentlicher Hebel ist hier die Begrenzung der Reinraumflächen. Hier kommen Containmentsysteme ins Spiel: Durch den Einsatz moderner Containmenttechnik lassen sich hochsensible Produktionsbereiche innerhalb eines Reinraumes gezielt abgrenzen, wodurch der Bedarf an großflächigen Reinraumumgebungen deutlich reduziert werden kann. Statt ganze Räume oder Hallen auf höchste Reinheitsstandards zu bringen, beschränkt sich die strenge Luft- und Partikelkontrolle auf kleinere, abgeschlossene Bereiche wie isolierte Produktionszellen oder Laminar-Flow-Boxen. Dadurch sinkt der Energiebedarf für RLT-Anlagen erheblich, da weniger Luftvolumen konditioniert, umgewälzt und gefiltert werden muss. Gleichzeitig bleibt die Sicherheit für Mensch und Produkt gewährleistet. Studien zeigen, dass durch den gezielten Einsatz von Containment-Technologien der Energieverbrauch für HLK um bis zu 40 Prozent gesenkt werden kann.

Ein Paradebeispiel für den erfolgreichen Einsatz moderner Energieeffizienztechnologien ist der Pfizer-Standort in Freiburg. Dort ermöglicht ein intelligentes Gebäudemanagementsystem eine Reduzierung des Energieverbrauchs für die Klimatisierung um 40 Prozent. Das System integriert Daten aus Produktions- und Gebäudetechnik auf einer zentralen Plattform und ermöglicht so eine präzise Steuerung und Überwachung aller Prozesse. Zur Effizienzsteigerung trägt auch der Einsatz modernster Containment-Technologien bei, die den sicheren Umgang mit hochaktiven Wirkstoffen gewährleisten, ohne den Energiebedarf unnötig zu erhöhen.

Trockner und Druckluftsysteme optimieren

Neben der Klimatisierung sind Trocknungsprozesse ein weiterer energieintensiver Bereich. Die Entfernung von Feuchtigkeit aus Produkten, zum Beispiel in Sprühtrocknern oder Wirbelschichttrocknern, benötigt enorme Mengen an Energie. Hier gewinnen Wärmerückgewinnungssysteme an Bedeutung - Abwärmeströme können nicht nur zur Vorwärmung von Frischluft genutzt, sondern auch mit Wärmepumpen auf ein hohes Temperaturniveau gebracht werden. Auch bei der Reinigung von Glasbehältern und der dafür notwendigen Erzeugung von Reindampf gibt es Effizienzpotenziale - durch den Einsatz von Vorwärmern kann der Energiebedarf beispielsweise um bis zu 30 Prozent gesenkt werden.

Aber auch bei der Erzeugung und Nutzung von Druckluft gibt es hohe Effizienzpotenziale. Denn Druckluft ist eine der teuersten Energieformen in der Pharmaproduktion. Durch Leckagen in Druckluftsystemen gehen oft erhebliche Energiemengen verloren. Eine regelmäßige Kontrolle und Wartung dieser Systeme kann die Energieverluste um bis zu 50 Prozent reduzieren. Darüber hinaus empfiehlt die Studie den Einsatz effizienterer Kompressoren, die ebenfalls erhebliche Einsparungen ermöglichen.

Mit kleinen Maßnahmen beginnen, Investitionen langfristig planen

Spannend ist ein weiteres Ergebnis der Capgemini-Studie: Mehr als ein Drittel der identifizierten Energieeffizienzmaßnahmen sind so genannte Quick Wins": Initiativen, die geringe Investitionen erfordern und schnell umgesetzt werden können. Dazu gehört zum Beispiel die Überwachung und Wartung von Dampffallen in Dampfsystemen. Denn defekte Dampffallen führen häufig zu unnötigen und vermeidbaren Energieverlusten. Auch die Harmonisierung von Temperatur- und Feuchteparametern in Reinräumen ist eine solche Maßnahme. Durch die Anpassung dieser Parameter an den tatsächlichen Bedarf können laut Studie bis zu 10 Prozent des Energieverbrauchs eingespart werden.

Langfristig lohnt es sich aus den eingangs beschriebenen Gründen, in erneuerbare Energien und digitale Technologien zu investieren. So baut der Pharmastandortbetreiber Pharmaserv in Marburg einen eigenen Windpark und investiert in Speicherlösungen, um den Standort Behringwerke nachhaltig zu versorgen. Es muss aber nicht immer der eigene Wind- oder Solarpark sein: Digitale Technologien wie Smart Metering und Echtzeit-Datenmonitoring helfen, ineffiziente Prozesse zu identifizieren und Energieeinsparpotenziale zu erschließen. So können Unternehmen nicht nur ihre Betriebskosten senken, sondern auch ihre Klimabilanz verbessern.

Autor

Armin Scheuermann

Armin Scheuermann

Chemieingenieur und freier Fachjournalist