Wie Hersteller die Nachhaltigkeit in der Lebensmittelindustrie erhöhen
05.04.2024 Nachhaltigkeit & CO2-Neutralität Artikel

Wie Hersteller die Nachhaltigkeit in der Lebensmittelindustrie erhöhen

Zwei von drei Verbrauchern legen im Supermarkt Wert auf Nachhaltigkeit – auch in Krisenzeiten. Vor allem ökologische Aspekte stehen dabei im Mittelpunkt. Was tut die Lebensmittelindustrie, um das Bedürfnis der Konsumenten nach umwelt- und klimafreundlichen Produkten zu befriedigen? Und welche Potenziale gilt es noch zu nutzen?

Einkaufsnetz mit Gemüse, Obst und anderen Lebensmitteln Verbraucher wollen Nachhaltigkeit im Einkaufsbeutel. Die Industrie hat viele Optionen, um die Bedürfnisse zu befriedigen.

Bio-Wurst, fair gehandelter Kaffee, CO2-neutraler Käse – wohl in keiner anderen Branche werden Produkte so gern als nachhaltig beworben wie im Lebensmitteleinzelhandel. Umso größer ist die Enttäuschung bei Verbrauchern, wenn sich ein Claim später als Greenwashing entpuppt. Welche Maßnahmen führen wirklich zu Nachhaltigkeit in der Lebensmittelbranche? Die kurze Antwort: Es ist kompliziert.

Die 3 Aspekte der Nachhaltigkeit

Das liegt vor allem daran, dass „Nachhaltigkeit“ ein einfacher Begriff für ein komplexes, sehr breites Themenfeld ist. Ganze 17 Punkte umfassen die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) der Vereinten Nationen. Etwas übersichtlicher ist die ESG-Einteilung für Nachhaltigkeitskriterien von Unternehmen. Sie unterteilt sich in drei Schlüsselbereiche:

  • Environment: Umweltauswirkungen, die durch die Aktivitäten eines Unternehmens entstehen
  • Social: Soziale Aspekte, etwa Beziehungen zu Mitarbeitern, Kunden oder Lieferanten
  • Governance: Ethische Grundsätze, Integrität oder Transparenz in der Unternehmensführung

Neben ihrem ökologischen Fußabdruck müssen Unternehmen also auch weitere Aspekte beachten. Verbrauchern sind beim Kauf aber vor allem Umweltaspekte wichtig. Eine Herausforderung für Akteure in der Lebensmittelindustrie ist dabei, dass sie zum Wachstum gezwungen werden – schließlich wächst die Weltbevölkerung kontinuierlich und der Bedarf nach Nahrung mit ihr. Den direkten Ressourcenverbrauch kann die Branche also nicht reduzieren. Umso wichtiger ist es, den indirekten Verbrauch und die Umwelt- und Klimabelastungen der Produktion zu reduzieren. Dazu zählen vor allem:

  • Elektrische Energie
  • Wärme- und Kälteenergie
  • Wasserverbrauch
  • Inanspruchnahme von Land und Gewässern
  • CO2-Emissionen

Beispiele für Nachhaltigkeit in der Lebensmittelindustrie

Eine Maßnahme, die eigentlich für jedes produzierende Unternehmen eine Selbstverständlichkeit sein sollte, ist Operational Excellence (Opex). Durch die kontinuierliche Verbesserung aller Prozesse der Wertschöpfungskette in Sachen Effizienz und Effektivität lassen sich nicht nur Kosten, sondern auch Ressourcenverbräuche senken. Klassische Methoden sind Kanban, Kaizen und Six Sigma.

Heute wird Opex hingegen vor allem durch die Digitalisierung vorangetrieben. Mit Industrie 4.0, dem Industrial Internet of Things (IIoT) und digitalen Zwillingen können Betreiber die Produktivität und die Effizienz ihrer Anlagen erhöhen, Ausschuss und Stillstände vermeiden.

Auch Künstliche Intelligenz (KI) machen sich Lebensmittelhersteller längst nicht mehr nur für Werbegags wie neue Geschmacksrichtungen zunutze. Maschinelles Lernen kann etwa für die Qualitätskontrolle eingesetzt werden, um Mängel und strukturelle Produktionsprobleme früh zu erkennen. Nachhaltiger wird die Herstellung auch, wenn Lebensmittelabfälle reduziert werden, indem etwa die Nachfrage genauer vorhergesagt wird und die Lieferketten schnell auf Schwankungen reagieren können.
Gerade bei der Verarbeitung von Lebensmitteln wird viel Energie verbraucht: vor allem elektrische Energie für mechanische Prozesse, aber auch Wärme und Kälte. Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz helfen, die Bilanz zu verbessern, etwa durch die Nutzung von Abwärme oder Motoren mit hohen Effizienzklassen. Auch die Energieerzeugung nehmen immer mehr Hersteller ins Visier: Mit PV-Anlagen auf dem Hallendach oder einem KWK-Kraftwerk wird grüne Energie erzeugt. Eine Biogaserzeugung kann sich in der Lebensmittelindustrie besonders lohnen, da Reststoffe aus der Produktion damit sinnvoll verwertet werden.
Andere Bereiche der Branche verbrauchen weniger elektrische Energie, aber dafür umso mehr Prozesswärme, beispielsweise in der Brauerei oder beim Destillieren von Spirituosen. Zukünftig könnte Wasserstoff die hierfür bislang verwendeten fossilen Brennstoffe ersetzen. Wie in anderen energieintensiven Industrien können die nötigen Temperaturen so erreicht werden, ohne dass CO2-Emissionen entstehen.

Spezifischere Maßnahmen zur Erhöhung der Nachhaltigkeit in der Lebensmittelversorgung sind Smart Farming und Vertical Farming. Smart Farming oder Landwirtschaft 4.0 bringt IT und Digitalisierung auf Feld und Bauernhof. Automatisierung, maschinelles Lernen bei Feldrobotern, vernetzte Fahrzeuge oder Sensorik für Ställe und Wiesen erhöhen die Effizienz schon beim Anbau von Grundnahrungsmitteln und in der Tierhaltung, die bisher besonders große Umweltauswirkungen mit sich bringt. Vertical Farming – also vertikale Landwirtschaft – soll durch die Anordnung von Produktionsstätten für pflanzliche und tierische Erzeugnisse in mehrstöckigen Gebäuden nicht nur die Effizienz erhöhen. Durch die Möglichkeit, den Ertrag zu steigern, ohne zusätzliche natürliche Flächen zu erschließen, wird auch der Ressourcenverbrauch reduziert. Geschlossene Wasserkreisläufe schonen Gewässer, kontrollierte Umgebungsbedingungen reduzieren den Einsatz von Bioziden und Dünger.

Von der Zukunftstechnologie in die Gegenwart überführt wurde Laborfleisch, das von verschiedenen Anbietern etwa in Israel, den USA und Singapur bereits hergestellt wird. Auch als Kulturfleisch oder In-vitro-Fleisch bezeichnet, meint es Fleisch zum menschlichen Verzehr, das nicht aus Pflanzen, sondern durch Züchtung von tierischem Gewebe erzeugt wird. Da die nötigen Ausgangszellen schmerzfrei entnommen werden, wird Tierleid vermieden. Befürworter argumentieren, dass außerdem der Verbrauch von Wasser, Landfläche und Futter sowie die Emission von Treibhausgasen massiv reduziert werden.

Gutes tun und darüber reden

Die Lebensmittelindustrie muss nachhaltiger werden – nicht zuletzt durch die Erwartungen der Verbraucher, die über alle Generationen hinweg größer werden. Die Beispiele zeigen, dass entlang der gesamten Wertschöpfungskette zahlreiche Möglichkeiten bestehen, die Auswirkungen von Lebensmitteln auf Umwelt und Klima zu reduzieren. Unternehmen, die das Potenzial nutzen, dürfen dann auch gerne damit werben – glaubhaft und belastbar.

Autor

Marius Schaub

Marius Schaub