Glaubt man den Stellenanzeigen, haben Arbeitgeber in der Pharmaindustrie ein klares Bild vom idealen Produktionsmitarbeiter: Kompetent, zuverlässig, sicherheits- und verantwortungsbewusst, anpassungs- und lernfähig, lösungsorientiert, präzise, effizient und körperlich belastbar soll er sein. Das Anforderungsprofil ist komplex - und in Zeiten immer komplexer werdender Prozesse bei gleichzeitigem Fachkräftemangel wird der Ruf nach Vereinfachung und Entlastung immer lauter. Dies kann durch Arbeitsteilung erreicht werden - nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen Mensch und Maschine. Hier schlägt die Stunde der Robotik. Denn der Kollege aus Stahl und Elektronik besitzt immer mehr der oben beschriebenen Eigenschaften eines idealen Mitarbeiters. Und mit jeder neuen Generation verschwinden mehr und mehr Nachteile der bisherigen Roboter: hohe Investitionen, komplexe Programmierung, Reinraumtauglichkeit.
Von Adam und Eva zum Synthese-Roboter
Das fängt im Labor an, wo Roboter längst repetitive und ermüdende Arbeiten übernehmen und dazu beitragen, den Entwicklungsprozess massiv zu beschleunigen. Und es beginnt unter anderem bei Adam und Eva. Die Rede ist von Laborrobotern, die der Cambridge-Professor Ross King seit fast zwei Jahrzehnten entwickelt und zu robotischen Wissenschaftlern aufrüstet. „Eve“ automatisiert den gesamten Prozess der Medikamentenentwicklung und integriert nun drei normalerweise getrennte Prozesse der frühen Medikamentenentwicklung: Screening, Hit-Konfirmation und QSAR (Quantitative Struktur-Aktivitäts-Beziehung). Diese Integration ermöglicht es Eve, Tausende von Verbindungen gegen einen bestimmten Assay zu testen und die Wirksamkeit neuer Verbindungen vorherzusagen. Der nächste Schritt für Eve ist die Fähigkeit, eigene Verbindungen für Screeningzwecke zu synthetisieren.
Diesen Ansatz verfolgt auch der Biochemiker Prof. Peter Seeberger: Mit Syntheseautomaten will Seeberger die Chemie- und Pharmaproduktion völlig neu denken. Dafür baut der Direktor für Biomolekulare Systeme am MPI Potsdam in Ostdeutschland das Großforschungszentrum „Center for the Transformation of Chemistry“ auf. „Automatisierte Systeme können uns helfen, ganz neue Stoffgruppen zu erforschen und umweltfreundlich herzustellen“, ist Seeberger überzeugt. Und weil Roboter und Automaten jeden Schritt nachvollziehbar protokollieren können, sollen die neuartigen Syntheseautomaten auch eine weltweite Produktion der Stoffe ermöglichen. Roboterbasierte Laborsynthesen sind nach Ansicht von Pharmaexperten auch der Schlüssel zu einer wirtschaftlich realisierbaren personalisierten Medizin, bei der Medikamente maßgeschneidert für einzelne Patienten hergestellt werden.
Vom Laborroboter zum Robotereinsatz in der Produktion
Schon heute werden automatisierte Laborsynthesen schließlich auch zur Keimzelle neuer Produktionsverfahren. So hat Essert Robotics mit der Advanced Robotic Workstation das Pipettieren, Mischen und Dosieren oder die Montage von Medizinprodukten wie Pen-Applikatoren oder Spritzen automatisiert. Das Unternehmen aus dem badischen Bruchsal denkt im Kleinen ganz groß: Mit dem MindFactory-Konzept hat Essert nicht nur Laboraufgaben, sondern auch Produktionsprozesse in Module zerlegt, die sich je nach Produkt kombinieren und mit Hilfe der eigenen Roboterplattform vollständig automatisieren lassen.
Die Idee dazu ist nicht neu – das Thema Modulautomation macht seit einigen Jahren in der Pharma– und Chemieindustrie die Runde. So zum Beispiel bei Merck in Darmstadt, wo die Prozessautomation mit Hilfe des Module Type Package (MTP) standardisiert und modularisiert wird. MTP ermöglicht dabei die flexible Integration und Konfiguration von Modulen verschiedener Hersteller in einem einheitlichen System. Das Ziel: Die Markteinführung neuer Produkte und optimiert die Produktionsprozesse massiv zu beschleunigen – ob mit oder ohne Roboter.
Labor und Synthese sind die eine Seite der Wertschöpfungskette im Pharmaprozess, in der zunehmend Roboter zum Einsatz kommen. Auch im Produktionsprozess setzen sich Roboter immer mehr durch. Ein Meilenstein war beispielsweise die Konstruktion von Robotern, die den hohen Anforderungen an Geräte für den Einsatz in den Reinraumklassen A bis D entsprechen. Zum einen dürfen sie keine unzulässigen Partikelmengen in den Reinraum einbringen, zum anderen müssen sie leicht zu reinigen sein - bis hin zur Sterilisation oder Desinfektion mit Wasserstoffperoxiddampf. Ganz vorne mit dabei sind Firmen wie Stäubli, Fanuc oder ABB. Die Maschinen übernehmen Aufgaben in gefährlichen Umgebungen und beim Umgang mit toxischen Wirkstoffen, für die Mitarbeiter bisher aufwändige Schutzausrüstungen tragen mussten.