Pharma- und Kosmetikindustrie kritisieren neue EU-Abwasserrichtlinie
Die neue EU-Abwasserrichtlinie „KARL“ stellt nicht nur Wasserwirtschaft vor große Herausforderungen, sondern sorgt auch in der Industrie für Unmut. Denn die Kosten für die nun vorgeschriebene vierte Reinigungsstufe sollen größtenteils von Pharma- und Kosmetikherstellern getragen werden.
Was unscheinbar klingt, birgt erhebliches Konfliktpotenzial für die Industrie: Mit der im November 2024 verabschiedeten Fortschreibung der EU-Kommunalabwasserrichtlinie 91/271/EWG – kurz „KARL“ – setzt die EU neue Maßstäbe in der Abwasserreinigung. Neben strengeren Vorgaben für die Entfernung von Stickstoff und Phosphor aus kommunalem Abwasser soll mit der Einführung einer vierten Reinigungsstufe auch die Beseitigung von Arzneimittelrückständen und Mikroschadstoffen verbindlich geregelt werden. Besonders brisant ist die Finanzierung: Im Rahmen der sogenannten „erweiterten Herstellerverantwortung“ verpflichtet die Richtlinie Pharmaunternehmen und Kosmetikhersteller, mindestens 80 Prozent der Investitions- und Betriebskosten zu übernehmen.
Die Dimension der finanziellen Belastung ist gewaltig. In Deutschland wird die Einführung der vierten Reinigungsstufe etwa neun Milliarden Euro kosten, schätzt der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU). Zusätzlich kommen jährliche Betriebskosten in Höhe von 1,2 Milliarden Euro hinzu, schätzt das Umweltbundesamt. Die Umsetzung erfolgt schrittweise: Zunächst werden Kläranlagen mit einer Kapazität über 150.000 Einwohnerwerten nachgerüstet, später folgen mittelgroße Anlagen in besonders belasteten Gebieten.
Bislang erfolgt die Abwasserreinigung in drei Stufen: Zunächst werden ungelöste Stoffe mechanisch mit Rechenanlagen und Absetzeinrichtungen entfernt. Im nächsten Schritt bauen Mikroorganismen gelöste organische Stoffe biologisch ab, wobei auch Stickstoffverbindungen entfernt werden. Die dritte Stufe eliminiert Phosphorverbindungen durch chemische Fällung. Trotz dieser Maßnahmen bleiben Mikroschadstoffe wie Arzneimittelwirkstoffe, Kosmetikbestandteile, Mikroplastik und per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) im Abwasser zurück – Substanzen, die mit der neuen vierten Reinigungsstufe künftig aus dem Wasserkreislauf entfernt werden sollen.
Entfernung von Spurenstoffen: Ein notwendiger Schritt zum Schutz der Umwelt
Die neue Reinigungsstufe zielt vor allem auf schwer abbaubare und umweltgefährdende Mikroschadstoffe. Rückstände von Medikamenten, die über menschliche Ausscheidungen oder unsachgemäße Entsorgung ins Abwasser gelangen, können selbst in geringen Mengen biologische Prozesse in Wasserorganismen stören. Insbesondere Hormone sind dabei problematisch – und Antibiotika tragen zur Entwicklung antibiotikaresistenter Bakterien bei. Kosmetische Inhaltsstoffe wie Parabene und Phthalate wirken als endokrine Disruptoren und beeinträchtigen die Fortpflanzung und Entwicklung von Tieren. Hinzu kommen Mikroplastik und PFAS – sogenannte „Ewigkeitschemikalien“ – die aufgrund ihrer Persistenz und Toxizität massive Umweltprobleme verursachen.
Die Einleitung solcher Stoffe führt zu Biodiversitätsverlust, Störungen ökologischer Kreisläufe und einem steigenden Aufwand für die Trinkwasseraufbereitung. Mit innovativen Verfahren wie der Ozonung und der Aktivkohleadsorption sollen diese Stoffe künftig <hin der vierten Reinigungsstufe effektiv entfernt werden, um die Wasserqualität nachhaltig zu verbessern und aquatische Ökosysteme zu schützen.
Industrie und Kommunen im Streit über Verantwortung und Kosten
Doch die vierte Stufe ist teuer – und die von der EU-Kommission dazu eingeführte „erweiterte Herstellerverantwortung“ polarisiert. Kommunale Verbände wie der VKU und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) begrüßen die Richtlinie als „umweltökonomischen Meilenstein“. Sie sehen im Verursacherprinzip nicht nur eine gerechte Lastenverteilung, sondern auch einen Anreiz für die Industrie, umweltfreundlichere Produkte zu entwickeln. Demgegenüber kritisieren Branchenvertreter wie der Verband der Chemischen Industrie (VCI) die Regelung als „völlig verfehlt“ und warnen vor Wettbewerbsnachteilen für die europäische Wirtschaft.
Besonders heftig ist die Kritik des Pharmaverbandes Pro Generika. Aufgrund der Preisdeckelung für generische Arzneimittel in Deutschland könnten die zusätzlichen Kosten nicht an die Verbraucher weitergegeben werden. Dies mache die Produktion von Generika in Europa unwirtschaftlich und könnte zu Versorgungsengpässen bei lebenswichtigen Medikamenten wie Antibiotika und Krebsmedikamenten führen. Auch die Kosmetikindustrie, deren Beitrag zur Mikroschadstoffbelastung vergleichsweise gering ist, sieht sich durch die pauschale Kostenverteilung übermäßig belastet.
Strengere Grenzwerte, energieneutraler Betrieb und ein ambitionierter Zeitplan
Neben der vierten Reinigungsstufe verschärft die Richtlinie auch die Grenzwerte für Stickstoff und Phosphor, um die Nährstoffbelastung der Gewässer weiter zu reduzieren. Dies erfordert von vielen Kläranlagen zusätzliche technische Nachrüstungen in der dritten Reinigungsstufe. Darüber hinaus verpflichtet die Richtlinie die EU-Mitgliedstaaten, die Wiederverwendung von behandeltem Abwasser zu fördern, insbesondere in wasserarmen Regionen. Neu ist auch die Pflicht zur umfassenden Überwachung von Abwasser auf antibiotikaresistente Erreger, Viren und Mikroplastik, um die Risiken für Umwelt und öffentliche Gesundheit besser einschätzen zu können. Ein langfristiges Ziel der Richtlinie ist es, den Abwassersektor bis 2045 energieneutral zu gestalten. Dafür sollen neue Technologien und energieeffiziente Betriebsweisen eingeführt werden. Zusätzlich ist ein Gesundheitsmonitoring vorgesehen, das Abwasserdaten nutzt, um Trends und Risiken im Bereich der öffentlichen Gesundheit frühzeitig zu erkennen.
Umsetzung bis 2045, Kommunen müssen bereits ab 2025 investieren
Bis zur finalen Umsetzung in 2045 scheint noch viel Zeit zu sein – doch der Fahrplan steht und die Uhr tickt: Am 5. November 2024 vom EU-Ministerrat final beschlossen, wird die EU-Kommunalabwasserrichtlinie noch im vierten Quartal 2024 im Amtsblatt der Europäischen Union verkündet werden. Danach haben die Mitgliedstaaten eine Frist von voraussichtlich 30 Monaten, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. In Deutschland erfolgt dies durch Änderungen des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) sowie flankierender Verordnungen.
Danach soll die Umsetzung stufenweise erfolgen: Bereits ab 2025 beginnt die Anpassung großer Kläranlagen mit einer Kapazität über 150.000 Einwohnerwerten, während Anlagen zwischen 10.000 und 150.000 Einwohnerwerten in besonders belasteten Regionen folgen. Der komplette Ausbau der vierten Reinigungsstufe und die Einhaltung aller neuen Vorgaben sollen bis 2045 abgeschlossen sein.
Fazit: An der Einführung der Reinigungsstufe führt kein Weg vorbei – doch über die Finanzierung und die Verteilung der Lasten und Verantwortung wird in den kommenden Jahren noch heftig gerungen werden. Und auch eine weitere Sorge plagt die betroffenen Industrien: Häufig wurden in der Vergangenheit EU-Richtlinien in Deutschland auch noch im Alleingang verschärft und Einführungszeitpläne verkürzt– sollte das passieren, befürchten Chemie, Pharma– und Kosmetikindustrie weitere Kosten und Wettbewerbsnachteile.