Nachhaltige Chemie bis 2030
15.07.2024 Nachhaltigkeit & CO2-Neutralität Artikel

Nachhaltige Chemie bis 2030

Chemieproduktion ja – aber bitte nachhaltig. So ist wohl die Erwartung der meisten Menschen. Tatsächlich hat sich viel zum Besseren verändert. Doch nach wie vor steht die Chemieindustrie vor großen Herausforderungen in Sachen Nachhaltigkeit. Das im September 2023 verabschiedete Global Framework on Chemicals macht Druck. Bis 2030 sollen weltweit zahlreiche Nachhaltigkeitsziele erreicht werden.

Symbolbild: Silhouette einer Chemiefabrik, überlagert mit grünem Gras. Greenwashing hat künftig keine Chance. Die messbaren Ziele des neuen Global Framework of Chemicals soll die chemische Industrie weltweit nachhaltig machen.

Bei der nachhaltigen Transformation spielt die Chemie eine Schlüsselrolle. In Europa hat die Branche bewiesen, dass umweltschädliche Emissionen durch die chemische Produktion in den Griff zu kriegen sind. Auf dem Weg zur Klimaneutralität ist sie hier bereits ein gutes Stück vorangekommen. Viele weitere Initiativen, wie sie etwa der europäische Chemieverband Cefic oder der deutsche Verband VCI anstoßen, zahlen auf Nachhaltigkeit ein. Doch weltweit gehört sie nach wie vor zu den großen Umweltverschmutzern und auch die Sicherheit von Beschäftigten und Anwohnern lässt oft zu wünschen übrig. Auf der anderen Seite kann sie durch innovative Produkte einen bedeutenden Anteil zur Nachhaltigkeit von Energieversorgung, Mobilität, Ernährung und Gesundheit etc. beitragen.

Bisherige Umweltziele wurden verfehlt

Auch, wenn in Europa Verschmutzungen von Flüssen durch Chemieabwässer, regelmäßige Belastung der Luft durch Abgase oder Unfälle mit Todesfällen in Chemiewerken deutlich seltener als noch vor 20 Jahren auftreten – ausruhen auf dem Erreichten kann sich die Branche nicht. Die Ziele, die 2002 auf dem Weltgipfel in Johannesburg für 2020 für Chemikalienmanagement vereinbart wurden, wurden jedenfalls nicht erreicht. „Beyond 2020“ gilt es nun, beim Umgang mit Chemikalien in allen Phasen ihres Lebenszyklus signifikante negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt weltweit deutlich zu minimieren.

Das GFC wird konkreter – und macht zeitlichen Druck

Ende September 2023 wurde auf der Fünften Weltchemikalienkonferenz ICCM5 in Bonn dazu ein neues Zielsystem, das GFC (Global Framework on Chemicals – For a Planet Free of Harm from Chemicals and Waste), beschlossen. Eine aktive Rolle bei der Umsetzung übernimmt das IOMC (Inter-Organization Programme for the Sound Management of Chemicals). Denn diesmal wollen Branche und Stakeholder besser performen. Das GFC umfasst fünf strategischen Zielsetzungen und darunter konkrete 28 Ziele, deren Umsetzung mess- und nachvollziehbar gemacht werden sollen. Viel Zeit bleibt nicht: Die meisten davon sollen bis 2030 erreicht werden.

Eine Gruppe von ca. 50 Demonstranten vor dem Eingang des ICCM5-Konferenzgebäudes in Bonn hält Transparente mit Forderungen gegen chemische Verschmutzung. Bei Demonstrationen am Rande der ICCM5-Konferenz setzten sich Demonstranten für strengere Vorgaben und das Verbot giftiger Pestizide ein.
So etwa Ziel A4 - Bis 2030 haben die Interessenträger den illegalen Handel mit Chemikalien und Abfällen wirksam verhindert. Oder Ziel B6 – Bis 2030 haben alle Regierungen das Global Harmonisierte System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien (GHS) in allen relevanten Sektoren entsprechend ihren nationalen Gegebenheiten umgesetzt. Ziel D1 schreibt fest: Bis 2030 investieren Unternehmen konsequent in Innovationen zur Förderung nachhaltiger Chemie und Ressourceneffizienz während des gesamten Lebenszyklus von Chemikalien. Dies alles und vieles mehr durchzusetzen, wird ein Kraftakt werden.
Symbolkreis vor grünem Hintergrund. In der Mitte eine liegende Acht mit Pfeil als Symbol für Kreislaufwirtschaft. Darum herum Symbole für Abfall, Windkraft, Kooperation, CO2, Einkauf, Team, Recycling und Wachstum. Kreislaufwirtschaft, nachwachsende Rohstoffe, CO2-Neutralität und viele weitere Aspekte tragen zu nachhaltiger Chemie bei.

Fällt Ökologie zu oft hinter Ökonomie zurück?

Innerhalb der EU gelten bereits weitreichende Nachhaltigkeitsberichtspflichten für Unternehmen, geregelt in der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) und der EU-Taxonomie. Ob diese bereits dem übergeordneten Ziel des neuen GFC – ein Planet frei von Schäden durch Chemikalien und Abfälle – genügen, muss sich erweisen. Regional gibt es zudem Initiativen wie Chemie³, die der deutsche Verband der chemischen Industrie VCI gemeinsam mit der Gewerkschaft IG BCE und dem Arbeitgeberverband BVC bereits 2013 ins Leben gerufen hat. Sie setzt sich dafür ein, die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökonomie, Ökologie und Soziales – zusammenzudenken. In der Halbjahresbilanz 2024 des VCI stellt der Verband jedoch nur ökonomische Kennzahlen vor – und bemängelt „aufwendige Bürokratie, langsame Genehmigungsverfahren und die Flut an neuen Regulierungen“ als „größten Störfaktor für reibungslosen Betriebsablauf“. Der ökologische Aspekt der nachhaltigen Entwicklung fiel unter den Tisch.

„Ohne Chemie steht der Umbau zu umfassender Nachhaltigkeit still“

Immerhin hatte VCI-Präsident Markus Steilemann im September 2023 auf dem „Tag der Chemie“ konstatiert: „Die Zukunft der Chemie in Deutschland steht auf dem Spiel. Aber ohne uns steht auch der Umbau unserer Volkswirtschaft hin zu Klimaneutralität, Kreislaufwirtschaft und umfassender Nachhaltigkeit still. Diese Transformation ist eine riesige Chance, um den Standort Deutschland zur Lok für grüne Zukunftsprodukte und -technologien zu machen, mit der Chemie im Führerstand.“ Und im Rahmen der Jahresbilanz 2023 der Branche stellte man dar, dass immerhin 30 Prozent der Chemieunternehmen anstreben, die ökologische Transformation zu beschleunigen.

Biotechniker kontrolliert einen Prozess an einem großen Stahl-Fermenter. Nachhaltiger wird Chemieproduktion zum Beispiel durch weiße Biotechnologie. Als Teil ihrer Nachhaltigkeitsstrategie arbeitet die BASF an der Entwicklung großtechnischer Fermentationsprozesse.
Die Kampagne „Ihre Chemie“ der Initiative Chemie im Dialog, in der der VCI neben Pharma- und Chemieunternehmen und weiteren Verbänden Mitglied ist, nennt schließlich konkrete Aspekte der Nachhaltigkeit: weniger fossile Rohstoffe und mehr erneuerbare Energien als Reaktion der Chemieindustrie auf die Krisen unserer Zeit stehen im Mittelpunkt. Bis 2045, heißt es, werde man treibhausgasneutral wirtschaften. Kreislaufwirtschaft, Recycling und nachwachsende Rohstoffe, erneuerbare Stromquellen wie Wind- und Solarenergie sowie die E-Mobilität sieht die Branche als wegweisend. Unbestritten, dass die Chemieindustrie hierbei viel beizutragen hat, angefangen von Materialien für Energieanlagen über den Ersatz von fossilen Rohstoffen bis hin zur Entwicklung von Prozessen für das Recycling.

Klimaschutz ist auch Sache der Investoren und Kunden

Den größten und wichtigsten Hebel haben wohl Kunden und Investoren der Chemieunternehmen in der Hand. Wer zweimal hinschaut und bevorzugt bei Unternehmen kauft oder in jene investiert, die Nachhaltigkeit erstnehmen, kann Einiges bewegen. Die meisten Konzerne haben das längst realisiert. So lockt die BASF ihre Anleger mit Informationen über ihre ökologischen und sozialen Erfolge. Als weltweit größtes Chemieunternehmen mit großem Einfluss auf die Wertschöpfungskette kann sie global dazu beitragen, dass die GFC-Ziele diesmal erreicht werden. Sie steuert ihr globales Nachhaltigkeitsziel zum Klimaschutz für 2030 über den Leistungsindikator „absolute CO2-Emission“. Besonders ehrgeizige Ziele wie die CO2-Emissionen bis 2050 auf netto-null zu senken werden ergänzt um Ziele zur nachhaltigeren Portfolioausrichtung, verantwortungsvollen Einkauf und ressourceneffiziente und sichere Produktion. Wenn den Worten Taten folgen, ist das beispielhaft.

Autor

Ulla Reutner

Dr. Ulla Reutner

Chemikerin und freie Fachjournalistin