„USA bitten EU-Länder um Eier“ – angesichts der Zoll-Drohungen des amerikanischen Präsidenten sorgte diese Schlagzeile Mitte März bei vielen Europäern für Kopfschütteln. Die Berichte rund um den Eiermangel in Amerika werfen ein Schlaglicht auf ein zentrales Problem der Welternährung. Massentierhaltung macht unsere Ernährungssysteme anfällig gegen pandemische Risiken: In den USA mussten aufgrund der dort grassierenden Vogelgrippe seit 2022 über 166 Millionen Geflügeltiere getötet werden. Vogelgrippe, Maul- und Klauenseuche oder Schweinepest sind die offensichtlich brutale Seite der Tierhaltung; Land- und Wasserverbrauch die andere: In Europa werden rund 70 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen für den Anbau von Tierfutter genutzt.
Dass es auch anders geht, zeigt das Berliner Start-up-Unternehmen Neggst Foods. Neggst Foods vermarktet derzeit die Idee „Bettr Egg“ – Eiprodukte auf Pflanzenbasis, die ihrem natürlichen Vorbild in jeder Hinsicht nachempfunden sind. Denn ein komplexes Zusammenspiel von Ionen und algenbasierten Hydrokolloiden sorgt bei den Produkten auf Basis pflanzlicher Proteine dafür, dass das Eigelb einen kugelförmigen Dotter mit Dotterhaut bildet. Das Eiklar besteht hauptsächlich aus Proteinen und Hydrokolloiden - das sind Polysaccharide, die sich leicht zu einem Gel vernetzen.
Was gestern noch Utopie war, liegt heute bereits im Regal – oder wächst im Bioreaktor: „New Food“ steht für eine Revolution in der Ernährung, und Nachhaltigkeit ist ihr Taktgeber. Der Begriff mag futuristisch klingen, beschreibt jedoch eine sehr reale Kategorie: „New Food“ sind Lebensmittel, die in der EU vor dem 15. Mai 1997 kaum konsumiert wurden und daher einer Zulassung nach der EU-Novel-Food-Richtlinie unterliegen. Doch auch jenseits der rechtlichen Definition ist das Modewort inzwischen zum Inbegriff einer Neuausrichtung der Lebensmittelproduktion geworden. Im Fokus stehen pflanzliche Proteine, fermentierte Zutaten, kultivierte Zellprodukte und bislang in Europa kaum genutzte Rohstoffe wie Algen oder Insekten. Das Ziel: unsere Ernährung ressourcenschonender, klimaeffizienter und gleichzeitig genussvoller zu gestalten – mit alltagstauglichen Alternativen zu Fleisch, Fisch und Milch.
Vom Labor auf den Markt – bereits Realität
Dass „New Food“ keine Zukunftsmusik mehr ist, zeigen zahlreiche Start-ups und Scale-ups in ganz Europa. In Wien etwa produziert Revo Foods mittels 3D-Druck pflanzliche Lachsfilets - auf Basis von Mykoprotein, einem proteinreichen Inhaltsstoff, der durch die Fermentation von Pilzkulturen entsteht. Es enthält alle neun essentiellen Aminosäuren, hat eine fleischähnliche Textur und ist reich an Ballaststoffen. Revo Foods verwendet ein speziell gezüchtetes Myzel, das eine besonders gute Struktur aufweist. Das Produkt sieht echtem Lachs täuschend ähnlich.
Einen Schritt weiter geht Bluu Seafood aus Hamburg: Das Biotech-Unternehmen züchtet Fischzellen in Edelstahltanks und verspricht nachhaltige Fischfilets ohne Beifang, Antibiotika oder Mikroplastik. Parallel dazu entwickelt Solar Foods in Finnland ein mikrobielles Protein namens „Solein“, das aus CO₂, Wasserstoff und Strom hergestellt wird – eine radikale Innovation mit minimalem Flächen- und Wasserverbrauch. Spätestens hier - aber auch schon bei der Herstellung und Verarbeitung von Proteinen – schließt sich der Kreis zu den Maschinenlösungen, die auf der POWTECH TECHNOPHARM 2025 zu sehen sein werden.
Nachhaltigkeit als zentrales Element
Allen Innovationen gemeinsam ist die klare Ausrichtung auf Nachhaltigkeit. Laut einer Studie des Forschungsinstituts CE Delft reduziert kultiviertes Fleisch den CO₂-Ausstoß im Vergleich zur konventionellen Tierhaltung um bis zu 90 Prozent. Auch der Wasserverbrauch sinkt drastisch: Während für ein Kilogramm Rindfleisch bis zu 15.000 Liter Wasser benötigt werden, kommen Insekten oder fermentierte Proteine mit einem Bruchteil aus.
Ein weiterer Vorteil ist der geringe Flächenbedarf. Mikroalgen wie die Goldene Chlorella wachsen in geschlossenen Systemen, brauchen weder Ackerland noch Pestizide - und liefern hochwertiges Eiweiß und Omega-3-Fettsäuren. Kein Wunder also, dass Unternehmen wie BettaF!sh aus Berlin Algen bereits in Sandwiches, Brotaufstrichen und pflanzlichen Thunfischen verarbeiten. Und die Beispiele von Revo Foods bis BettaF!sh sind nur die Spitze des New-Food-Eisbergs: In der EU werden Start-ups mit innovativen Ernährungsideen inzwischen über das Programm RisingFoodStars organisiert und gefördert. Seit 2018 haben bereits über 130 Unternehmen an dem Programm teilgenommen, das sich an vielversprechende Agrifood- und FoodTech-Scale-ups in Europa richtet.
Dennoch wäre es zu einfach, „Neue Lebensmittel“ pauschal als nachhaltig zu bezeichnen. Die Technologien müssen ihre Umweltvorteile erst durch Lebenszyklusanalysen, transparente Kommunikation und klare Standards unter Beweis stellen. Nur wenn Produktion, Logistik und Verpackung gemeinsam nachhaltig gedacht werden, kann das Versprechen eingelöst werden.